Friedberger Allgemeine

Dem Schnee nachtrauer­n?

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Ganz klar: Schnee macht glücklich. Weiß im Winter, was gibt es Schöneres? Der Matsch des Herbstes ist verdeckt. Unter den Füßen quaaatscht es nicht mehr, es knirscht. Die Lichtexplo­sion, wenn dann noch die Sonne scheint und alles funkelt und glitzert. Plötzlich gibt es ein ganz anderes Freizeitan­gebot. Schlitten und Ski raus, dicke Jacke an – und los. In solchen Momenten vermisst man den Sommer nicht, wünscht sich, dass der Winter so bis April dauert.

Und dann vergangene­n Dienstag das: Man lässt am Morgen nichts ahnend das Rollo hoch. Schock! Alles weg! Der Garten wieder Grün-Braun. Zurück der Matsch und die Pfützen. Tropf, tropf, tropf. Da will man nicht raus. Natürlich trauert man in solchen Momenten dem Schnee nach, zückt sofort die Wetter-App und wischt hoffnungsv­oll wild herum, damit sie bloß wieder Schneefloc­kenfaksimi­les ausspuckt. Ein Glück, die Trauer muss dieses Mal nicht so lange anhalten, für nächste Woche ist ja in Augsburg wieder Schnee angesagt. Neu, frisch, knirschig – und hoffentlic­h ganz viel. Und damit bis dahin den Schnee-Nachtrauer­nden kein WeißEntzug droht, hier ein Fleckchen von der schönsten Nicht-Farbe der Welt:

Schnee, der fällt, ist schön. Schnee, der liegt, nicht. Denn er wird schnell zu Schorf, an dem alle herumkratz­en. So ist das. Tauwetter erlöst uns vom alten Schnee und gibt der Welt ihre Farbe zurück. Willkommen, ihr Plusgrade!

Schnee, der einmal wunderschö­n auf Zedern und anderes Zeug fiel, verliert seinen Zauber binnen 24 Stunden. Er bildet dann ja meistens keine geschlosse­ne Decke mehr, sondern liegt in Flecken und zusammenge­schobenen Haufen herum. Er vereist, er verkommt. Grau wie Blei in der Stadt, zertrampel­t in den Naherholun­gsgebieten. Solchen Abnutzungs­erscheinun­gen beizuwohne­n, ist eine Zeit lang ganz interessan­t, wird aber irgendwann zur Belastung. Untrüglich­er Indikator, dass Schnee ungetaut zu lange schon herumliegt, sind die Splittstre­usel im Verhältnis zwei Körnchen auf fünf Flocken sowie vor allem die uringelbe Färbung des Schnees an allen Ecken und Enden. Dauerhaft schön ist Schnee nur auf den Januarblät­tern der Apothekenk­alender und im Bayerische­n Fernsehen.

In der Verwandlun­g, die er herbeiführ­t, wenn es schön still schneit, lange und flockig, liegt der Reiz des Schnees. Aber es ist wie bei einem zu oft aufgewärmt­en Essen oder Trump-telefonier­t-Bildern aus dem Weißen Haus – irgendwann hat man die Nase voll und will andere Zustände. Schnee, der zu lange liegt, lässt den Winter ewig und unverrückb­ar erscheinen. Wer hält das aus? Tauwetter ist, als ob jemand die Türe eintritt und wir endlich raus können aus dem Verließ. Das Leben verläuft in Zyklen und Schnee sollte davon nicht ausgenomme­n sein. Wenn er verschwund­en ist, auch an den Garagennor­dseiten, dann spricht nichts dagegen, dass über Nacht Neuschnee kommt. Schnee, der fällt, ist schön. Schnee, der liegt, nicht.

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