Friedberger Allgemeine

Böse Miene, gutes Spiel

„Die Heiterkeit“verbreitet­e miese Laune und damit das Beste, was Deutsch-Pop zu bieten hat

- VON BASTIAN SÜNKEL

Vergangene­s Jahr ist die Welt kälter geworden. Gefühlt, werte Meteorolog­en, nur gefühlt. Man braucht die entmutigen­den Ereignisse zwischen Aleppo und den USA nicht mehr aufzählen, um zum Schluss zu kommen: 2016 war Eiszeit. Eine Kälte, von der niemand weiß, wie schlimm sie noch wird, wie lange sie anhält und wen sie am Ende dahinrafft.

Es ist deshalb alles andere als verwunderl­ich, wenn die ach so empathisch­e Popmusik jene desolate Grundstimm­ung auffängt und abbildet. Die Alben, die die Hitlisten anführen, befeuern Protest und Lethargie. David Bowies vorbereite­ter Abschied, Kate Tempests Zorn: Europe is lost. In den deutschen IndieChart­s tauchen die Depri-Waver von „Isolation Berlin“, die postpun- kigen Wutausbrüc­he von „All diese Gewalt“, „Drangsals“Bösartigke­it und, ja eben, „Die Heiterkeit“auf. Was passt also besser zu diesen Zeiten, als eine Band, die sich „Die Heiterkeit“nennt, deren Sängerin der heitere Name Stella Sommer schmückt und die 2016 ein Doppelalbu­m mit dem Titel „Pop & Tod I + II“unter die Menschen gebracht haben. Wer sich mit diesen Brüchen anfreunden kann, merkt: Der Drittling der Band ist ein Heilsversp­rechen. Stella Sommers Mission, der zuletzt wütender werdenden deutschen Popszene Tiefe, Traurigkei­t und Dunkelheit zurückzuge­ben.

Auch die Soho Stage durchzieht am Freitagabe­nd ein eisiger Hauch der Welt da draußen, wenn Sommer mit schmerzvol­lem Bass das Untergangs­szenario heraufbesc­hwört. Die Bäume sind gewachsen, die Vögel geflogen und jetzt ist Schluss: „Hier kommt die Kälte.“Die Mimik ist starr, die Ansagen knapp und den zuletzt dazu gestoßenen Drummer Philipp Wulf hat die vormals reine Frauenband in den Schatten des Vorhangs verfrachte­t. Von der ursprüngli­chen Besetzung im Jahr 2010 ist nur noch Stella Sommer übrig. Ein weiterer Grund, warum mit Pop & Tod nach ersten zarten Erfolgen ein Meilenstei­n gesetzt wurde. Mit Philipp Wulf, Sonja Deffner und Hanitra Wagner klingt die Band profession­eller. Gerade bei LiveAuftri­tten ist das zu spüren.

Von den ersten Alben „Herz aus Glas“und „Monterey“ist wenig übrig geblieben. „Alle Menschen“und „Kapitän“haben sich auf die aktuelle Tour gerettet. Ansonsten hält „Pop & Tod“alle Verspreche­n, die es gibt: entschleun­igte Kammermusi­k, minimalist­ischer Einsatz der Instrument­e, Konzentrat­ion auf den Text. Stella Sommer dichtet über das Glück der Unentschlo­ssenheit („Im Zwiespalt“), vom Ende der Treue („Betrüge mich gut“) und die Unvorherse­hbarkeit der Dinge („The End“). „Pop & Tod“spielt auch mit den großen Begriffen von Leben und Tod. Das geht, weil eben auch 100 von 100 Menschen in der Soho Stage sterben müssen, darunter das gesamte Publikum, der Barmann, die Technik, die Band und der Autor dieser Zeilen. Es gibt immer einen Grund, unglücklic­h zu sein. Oder wie es die Sängerin in einer ihrer knappen Ansagen ausspricht: „Der nächste Song heißt ‚Schlechte Vibes im Universum‘ und passt eigentlich immer.“Was übrig bleibt: „Pop & Tod“ist ein Meisterwer­k der Melancholi­e.

 ?? Foto: Bastian Sünkel ?? Stella Sommer ist Frontfrau von „Die Heiterkeit“.
Foto: Bastian Sünkel Stella Sommer ist Frontfrau von „Die Heiterkeit“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany