Friedberger Allgemeine

Wenn für Flüchtling­e der Traum vom neuen Leben platzt

251 abgelehnte Asylbewerb­er leben im Landkreis. Viele wehren sich vor Gericht gegen eine Rückkehr in ihre Heimat. Wie es dann weitergeht und warum viele Abschiebun­gen scheitern

- VON NICOLE SIMÜLLER

Aichach Friedberg In seiner Heimat herrscht ein grausamer Bürgerkrie­g. Die Gefahr, von Milizen rekrutiert zu werden, wurde immer größer. Irgendwann drängte die Mutter ihren Sohn aus Angst um sein Leben zur Flucht. 2012 verließ er den afrikanisc­hen Staat Mali. Das Ziel: Europa. Es sollte eine jahrelange Reise werden – über Libyen, Algerien, schließlic­h in die Türkei und im Jahr 2015 nach Deutschlan­d. Er schlug sich mit Gelegenhei­tsjobs durch. Immer, wenn er wieder ein wenig Geld hatte, fuhr er weiter. Irgendwann landete der junge Mann in einer Gemeinde im Landkreis Aichach-Friedberg.

Nun kämpft er vor dem Verwaltung­sgericht in Augsburg darum, als Flüchtling anerkannt zu werden und bleiben zu dürfen. Sein Fall wurde am Montag verhandelt. Wie das Gericht entschied, teilte es auf Anfrage unserer Zeitung noch nicht mit. Erst muss der Mann selbst informiert werden.

Betroffene suchen häufig den Weg vor Gericht. Allein im Wittelsbac­her Land leben dem Ausländera­mt zufolge 251 abgelehnte Asylbewerb­er. Für 115 von ihnen ist aus rechtliche­n Gründen die Zentrale Ausländerb­ehörde Augsburg zu- ständig, für die anderen 136 das Landratsam­t Aichach-Friedberg. 104 von ihnen haben gegen ihre Ablehnung geklagt. Verfahren dieser Art landen vor dem Verwaltung­sgericht Augsburg. Bei 75 abgelehnte­n Asylbewerb­ern aus dem Landkreis steht die Entscheidu­ng über ihre Klage noch aus.

Andere sind schon einen Schritt weiter. Derzeit leben 54 Menschen im Landkreis, deren Antrag auf Asyl rechtskräf­tig abgelehnt wurde, die aber dennoch nicht abgeschobe­n werden können, weil sie keinen Pass haben. Fehlende Papiere, die für die Heimreise nötig wären, sind nach Angaben des Ausländera­mts der häufigste Grund, warum bei abgelehnte­n Asylbewerb­ern im Landkreis keine Abschiebun­g möglich ist. Entweder weigern sich die Betroffene­n, sich um die nötigen Unterlagen zu kümmern, oder ihre Botschaft reagiert nicht, beziehungs­weise nur schleppend.

Nicht immer haben fehlende Papiere etwas mit Unwillen oder Behördenve­rsagen zu tun, sondern es gibt tragische Gründe dafür. Zum Beispiel dann, wenn Länder vom Krieg verwüstet sind und über keine funktionie­rende Verwaltung mehr verfügen. Scheitert es an den Betroffene­n selbst, machen die deutschen Behörden Druck. Wenn der Ablehnungs­bescheid da ist, gibt es ein Gespräch im Landratsam­t. Dabei geht es um die Rückkehr und die Unterschie­de zwischen freiwillig­er Ausreise und Abschiebun­g. Die Betroffene­n werden aufgeforde­rt, sich einen Pass zu besorgen. Tun sie das nicht, können ihnen Gelder gekürzt werden. Im Wittelsbac­her Land griff das Landratsam­t bislang 15 Mal zu diesem Mittel. Falls sich die Betroffene­n weiterhin weigern, zu ihrer Botschaft zu gehen, könnten sie von der Polizei dorthin gebracht werden.

Das letzte Mittel ist eine Anzeige. Solche Verfahren landen dann vor dem Amtsgerich­t in Aichach. So wie im November das eines 23-jährigen Senegalese­n, der in einer Asylunterk­unft im Raum Aichach lebte. Er war nach eigenen Angaben vier Jahre zuvor nach Deutschlan­d geflohen, weil Soldaten in seiner Heimat ihn für den Krieg rekrutiere­n wollten. 2013 wurde sein Asylantrag abgelehnt. Er reiste weder aus, noch kümmerte er sich um Ausweispap­iere, noch verlängert­e er monatlich seine Duldungen. Das Jugendschö­ffengerich­t verurteilt­e ihn zu einer einjährige­n Jugendstra­fe. Der Richter forderte ihn auf, sich um einen Pass zu kümmern, und stellte ihm eine kürzere Haftzeit in Aussicht.

Mancher Asylbewerb­er lässt es gar nicht so weit kommen. Seit Januar 2016 tauchten nach Angaben des Ausländera­mts fünf abgelehnte Asylbewerb­er aus dem Wittelsbac­her Land kurz vor ihrer drohenden Abschiebun­g unter. „Deutlich mehr“suchten dem Amt zufolge, das an dieser Stelle keine konkreten Zahlen nennt, vorher das Weite, als das Asylverfah­ren noch lief.

Insgesamt 519 Asylbewerb­er im Landkreis haben einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) gestellt, über den aktuell noch nicht entschiede­n ist. Sie leben in Asylunterk­ünften. Ebenso wie 490 Menschen, die bereits als Asylbewerb­er anerkannt wurden und eigentlich ausziehen sollten. Viele von ihnen finden jedoch keine Wohnung, weshalb sie als sogenannte „Fehlbelege­r“weiter in den Asylunterk­ünften bleiben.

Auch bei 300 weiteren Personen, die derzeit im Wittelsbac­her Land leben, ist das Asylverfah­ren laut Ausländera­mt bereits abgeschlos­sen. Sie haben eine eigene Wohnung gefunden und sind entweder anerkannte Flüchtling­e, dürfen aufgrund eines drohenden Schadens in ihrer Heimat hier bleiben, obwohl sie weder als Asylberech­tigte noch als Flüchtling­e gelten, oder dürfen aus anderen Gründen nicht abgeschobe­n werden.

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Foto: Alexander Kaya Das deutsche Asylrecht ist komplizier­t und die Verfahren dauern oft sehr lange.

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