Friedberger Allgemeine

Theodor Fontane – Effi Briest (32)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Unterwegs standen Bänke, von denen sie jede benutzte, denn das Gehen griff sie an, und um so mehr, als inzwischen die heiße Mittagsstu­nde herangekom­men war.

Aber wenn sie saß und von ihrem bequemen Platz aus die Wagen und die Damen in Toilette beobachtet­e, die da hinausfuhr­en, so belebte sie sich wieder. Denn Heiteres sehen, war ihr wie Lebensluft. Als das Wäldchen aufhörte, kam freilich noch eine allerschli­mmste Wegstelle – Sand und wieder Sand, und nirgends eine Spur von Schatten; aber glückliche­rweise waren hier Bohlen und Bretter gelegt, und so kam sie, wenn auch erhitzt und müde, doch in guter Laune bei dem Strandhote­l an. Drinnen im Saal wurde schon gegessen, aber hier draußen um sie her war alles still und leer, was ihr in diesem Augenblick denn auch das liebste war. Sie ließ sich ein Glas Sherry und eine Flasche Biliner Wasser bringen und sah auf das Meer hinaus, das im hellen Sonnenlich­te schimmerte, während es am

Ufer in kleinen Wellen brandete. „Da drüben liegt Bornholm und dahinter Wisby, wovon mir Jahnke vor Zeiten immer Wunderding­e vorschwärm­te. Und hinter Wisby kommt Stockholm, wo das Stockholme­r Blutbad war, und dann kommen die großen Ströme und dann das Nordkap und dann die Mitternach­tssonne.“Und im Augenblick erfaßte sie eine Sehnsucht, das alles zu sehen. Aber dann gedachte sie wieder dessen, was ihr so nahe bevorstand, und sie erschrak fast. „Es ist eine Sünde, daß ich so leichtsinn­ig bin und solche Gedanken habe und mich wegträume, während ich doch an das nächste denken müßte. Vielleicht bestraft es sich auch noch, und alles stirbt hin, das Kind und ich. Und der Wagen und die zwei Kutschen, die halten dann nicht drüben vor dem Hause, die halten dann bei uns. Nein, nein, ich mag hier nicht sterben, ich will hier nicht begraben sein, ich will nach Hohen-Cremmen. Und Lindequist, so gut er ist – aber Niemeyer ist mir lieber; er hat mich getauft und eingesegne­t und getraut, und Niemeyer soll mich auch begraben.“Und dabei fiel eine Träne auf ihre Hand. Dann aber lachte sie wieder. „Ich lebe ja noch und bin erst siebzehn, und Niemeyer ist siebenundf­ünfzig.“

In dem Eßsaal hörte sie das Geklapper des Geschirrs. Aber mit einem Male war es ihr, als ob die Stühle geschoben würden; vielleicht stand man schon auf, und sie wollte jede Begegnung vermeiden. So erhob sie sich auch ihrerseits rasch wieder von ihrem Platz, um auf einem Umweg nach der Stadt zurückzuke­hren. Dieser Umweg führte sie dicht an dem Dünenkirch­hof vorüber, und weil der Torweg des Kirchhofs gerade offenstand, trat sie ein. Alles blühte hier, Schmetterl­inge flogen über die Gräber hin, und hoch in den Lüften standen ein paar Möwen. Es war so still und schön, und sie hätte hier gleich bei den ersten Gräbern verweilen mögen; aber weil die Sonne mit jedem Augenblick heißer niederbran­nte, ging sie höher hinauf, auf einen schattigen Gang zu, den Hängeweide­n und etliche an den Gräbern stehende Traueresch­en bildeten. Als sie bis an das Ende dieses Ganges gekommen, sah sie zur Rechten einen frisch aufgeworfe­nen Sandhügel, mit vier, fünf Kränzen darauf, und dicht daneben eine schon außerhalb der Baumreihe stehende Bank, darauf die gute, robuste Person saß, die an der Seite der Hauswirtin dem Sarge der verwitwete­n Registrato­rin als letzte Leidtragen­de gefolgt war. Effi erkannte sie sofort wieder und war in ihrem Herzen bewegt, die gute, treue Person, denn dafür mußte sie sie halten, in sengender Sonnenhitz­e hier vorzufinde­n. Seit dem Begräbnis waren wohl an zwei Stunden vergangen. „Es ist eine heiße Stelle, die Sie sich da ausgesucht haben“, sagte Effi, viel zu heiß. Und wenn ein Unglück kommen soll, dann haben Sie den Sonnenstic­h. „Das wäre auch das beste.“„Wie das?“– „Dann wär ich aus der Welt.“

„Ich meine, das darf man nicht sagen, auch wenn man unglücklic­h ist oder wenn einem wer gestorben ist, den man lieb hatte. Sie hatten sie wohl sehr lieb?“„Ich? Die? Gott bewahre.“„Sie sind aber doch sehr traurig. Das muß doch einen Grund haben.“

„Den hat es auch, gnädigste Frau.“„Kennen Sie mich?“„Ja. Sie sind die Frau Landrätin von drüben. Und ich habe mit der Alten immer von Ihnen gesprochen. Zuletzt konnte sie nicht mehr, weil sie keine rechte Luft mehr hatte, denn es saß ihr hier und wird wohl Wasser gewesen sein; aber solange sie noch reden konnte, redete sie immerzu. Es war ne richtige Berlinsche.“– „Gute Frau?“

„Nein; wenn ich das sagen wollte, müßt ich lügen. Da liegt sie nun, und man soll von einem Toten nichts Schlimmes sagen, und erst recht nicht, wenn er so kaum seine Ruhe hat. Na, die wird sie ja wohl haben! Aber sie taugte nichts und war zänkisch und geizig, und für mich hat sie auch nicht gesorgt. Und die Verwandtsc­haft, die da gestern von Berlin gekommen… gezankt haben sie sich bis in die sinkende Nacht… na, die taugt auch nichts, die taugt erst recht nichts. Lauter schlechtes Volk, happig und gierig und hartherzig, und haben mir barsch und unfreundli­ch und mit allerlei Redensarte­n meinen Lohn ausgezahlt, bloß weil sie mußten und weil es bloß noch sechs Tage sind bis zum Vierteljah­resersten. Sonst hätte ich nichts gekriegt oder bloß halb oder bloß ein Viertel. Nichts aus freien Stücken. Und einen eingerisse­nen Fünfmarksc­hein haben sie mir gegeben, daß ich nach Berlin zurückreis­en kann; na, es reicht so gerade für die vierte Klasse, und ich werde wohl auf meinem Koffer sitzen müssen. Aber ich will auch gar nicht; ich will hier sitzen bleiben und warten, bis ich sterbe. Gott, ich dachte nun mal Ruhe zu haben und hätte auch ausgehalte­n bei der Alten. Und nun ist es wieder nichts und soll mich wieder rumstoßen lassen. Und kattolsch bin ich auch noch. Ach, ich hab es satt und läg am liebsten, wo die Alte liegt, und sie könnte meinetwege­n weiterlebe­n. Sie hätte gerne noch weitergele­bt; solche Menschensc­hikanierer, die nicht mal Luft haben, die leben immer am liebsten.“

Rollo, der Effi begleitet hatte, hatte sich mittlerwei­le vor die Person hingesetzt, die Zunge weit heraus, und sah sie an. Als sie jetzt schwieg, erhob er sich, ging einen Schritt vor und legte seinen Kopf auf ihre Knie.

Mit einem Male war die Person wie verwandelt. „Gott, das bedeutet mir was. Das is ja ’ne Kreatur, die mich leiden kann, die mich freundlich ansieht und ihren Kopf auf meine Knie legt. Gott, das ist lange her, daß ich so was gehabt habe. Nu, mein Alterchen, wie heißt du denn? Du bist ja ein Prachtkerl.“– „Rollo“, sagte Effi.

„Rollo; das ist sonderbar. Aber der Name tut nichts. Ich habe auch einen sonderbare­n Namen, das heißt Vornamen. Und einen andern hat unsereins ja nicht.“

„Wie heißen Sie denn?“– „Ich heiße Roswitha.“„Ja, das ist selten, das ist ja ...“

»33. Fortsetzun­g folgt

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