Trotz Freispruchs in die Psychiatrie
Prozess Ein Mann zündet seine Wohnung an, schneidet sich die Pulsadern auf und setzt sich in die Badewanne. Weil Nachbarn schnell reagieren, überlebt der Brandstifter. Doch nach dem Urteil ist er nun in einer schwierigen Lage
Der Fall des Nürnbergers Gustl Mollath hat gezeigt, wie schnell es gehen kann, dass jemand wegen des Verdachts, er sei gemeingefährlich, für Jahre in der geschlossenen Psychiatrie verschwindet. Im Jahr 2014 kam Mollaths frei. Der Fall von Michael Müller* liegt dagegen anders. Vor einem Jahr hatte eine Strafkammer des Landgerichts den Augsburger zu einer 27-monatigen Haftstrafe verurteilt – wegen schwerer Brandstiftung. Am 1. Juli vor zwei Jahren hatte Müller nachts in seiner Wohnung im Herrenbach Feuer gelegt und sich dann mit aufgeschnitten Pulsadern in die Badewanne gelegt. Der 52-Jährige überlebte, da Hausbewohner Rauch bemerkten und die Feuerwehr riefen.
Das Gericht hatte außer der Haftstrafe angeordnet, dass Michael Müller in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird. Es sei nicht auszuschließen, urteilten die Richter damals gestützt auf ein Gutachten, dass der Angeklagte erneut sich oder andere Menschen gefährdet.
Die Aussicht auf ein Leben hinter Gittern schockte den 52-Jährigen. Mit dem Augsburger Strafverteidiger Ralf Schönauer focht nun ein neuer Anwalt das Urteil beim Bundesgerichtshof an und hatte Erfolg. Der 1. Strafsenat in Karlsruhe hob das Urteil auf, da das Gutachten, wonach Müller für sich und andere eine Gefahr darstelle, unzureichend sei. Seit Dienstag ist der Augsburger wieder ein freier Mann – zumindest auf dem Papier. Die 8. Strafkammer des Landgerichts hat den 52-Jährigen zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Außerdem wurde er am Dienstag mit sofortiger Wirkung aus der geschlossen Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren entlassen, wo er die letzten 19 Monate gelebt hatte.
Das Urteil, das Richter Michael Schneider nach zweitägiger Beweisaufnahme verkündete, stützt sich wesentlich auf ein neues Gutachten. Ralf Michael Schulte, ein bundes- weit anerkannter Gutachter im Bereich der forensischen Psychiatrie, kommt zum Ergebnis, dass vom Angeklagten nach menschlichem Ermessen heute keine Gefahr mehr ausgeht – auch wenn Müller an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung leidet und Betreuung braucht. Er habe sich, als er sich im Juli vor zwei Jahren das Leben nehmen wollte, in einer ihm aussichtslos erscheinenden Situation befunden.
Die Monate zuvor hatte der gelernte Maler und Lackierer etliche Tiefschläge einstecken müssen. Ohnehin war er vereinsamt, es hatte sich bei ihm eine Sozialphobie entwickelt. Nach seinen Angaben hatte er 15 Jahre die Wohnung meist nur noch nachts verlassen. Alles zum Leben notwendige, auch Medikamente, um seine Diabetes zu behandeln, bestellte er im Internet. Dann kam seine Mutter, die er gepflegt hatte, ins Heim. Zum 1. Juli war Müller dann auch noch wegen ausbleibender Miete die Wohnung gekündigt worden. Er wusste nicht wohin, konnte niemanden erreichen, der ihm half.
Trotz des für ihn erfreulichen Urteils sitzt Müller seit gestern wieder in der geschlossenen Psychiatrie. „Mein Mandant steckt in der Grauzone zwischen Juristerei und den Sozialsystemen. Natürlich geht es dabei auch um Kosten“, sagt Anwalt Schönauer. Die Suche nach einem Platz in einer sozialen Einrichtung wie im oberbayerischen Herzogsägmühle hatte keinen Erfolg. Das Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren lehnte es ab, Müller in seine offene Station aufzunehmen. So darf der 52-Jährige, obwohl kein Anlass mehr besteht, dort noch für maximal drei Tage wohnen. Wie es dann weitergeht, ist noch unklar.