Friedberger Allgemeine

Trotz Freispruch­s in die Psychiatri­e

Prozess Ein Mann zündet seine Wohnung an, schneidet sich die Pulsadern auf und setzt sich in die Badewanne. Weil Nachbarn schnell reagieren, überlebt der Brandstift­er. Doch nach dem Urteil ist er nun in einer schwierige­n Lage

- VON PETER RICHTER

Der Fall des Nürnberger­s Gustl Mollath hat gezeigt, wie schnell es gehen kann, dass jemand wegen des Verdachts, er sei gemeingefä­hrlich, für Jahre in der geschlosse­nen Psychiatri­e verschwind­et. Im Jahr 2014 kam Mollaths frei. Der Fall von Michael Müller* liegt dagegen anders. Vor einem Jahr hatte eine Strafkamme­r des Landgerich­ts den Augsburger zu einer 27-monatigen Haftstrafe verurteilt – wegen schwerer Brandstift­ung. Am 1. Juli vor zwei Jahren hatte Müller nachts in seiner Wohnung im Herrenbach Feuer gelegt und sich dann mit aufgeschni­tten Pulsadern in die Badewanne gelegt. Der 52-Jährige überlebte, da Hausbewohn­er Rauch bemerkten und die Feuerwehr riefen.

Das Gericht hatte außer der Haftstrafe angeordnet, dass Michael Müller in eine psychiatri­sche Klinik eingewiese­n wird. Es sei nicht auszuschli­eßen, urteilten die Richter damals gestützt auf ein Gutachten, dass der Angeklagte erneut sich oder andere Menschen gefährdet.

Die Aussicht auf ein Leben hinter Gittern schockte den 52-Jährigen. Mit dem Augsburger Strafverte­idiger Ralf Schönauer focht nun ein neuer Anwalt das Urteil beim Bundesgeri­chtshof an und hatte Erfolg. Der 1. Strafsenat in Karlsruhe hob das Urteil auf, da das Gutachten, wonach Müller für sich und andere eine Gefahr darstelle, unzureiche­nd sei. Seit Dienstag ist der Augsburger wieder ein freier Mann – zumindest auf dem Papier. Die 8. Strafkamme­r des Landgerich­ts hat den 52-Jährigen zu einer Bewährungs­strafe von zwei Jahren verurteilt. Außerdem wurde er am Dienstag mit sofortiger Wirkung aus der geschlosse­n Psychiatri­e des Bezirkskra­nkenhauses Kaufbeuren entlassen, wo er die letzten 19 Monate gelebt hatte.

Das Urteil, das Richter Michael Schneider nach zweitägige­r Beweisaufn­ahme verkündete, stützt sich wesentlich auf ein neues Gutachten. Ralf Michael Schulte, ein bundes- weit anerkannte­r Gutachter im Bereich der forensisch­en Psychiatri­e, kommt zum Ergebnis, dass vom Angeklagte­n nach menschlich­em Ermessen heute keine Gefahr mehr ausgeht – auch wenn Müller an einer kombiniert­en Persönlich­keitsstöru­ng leidet und Betreuung braucht. Er habe sich, als er sich im Juli vor zwei Jahren das Leben nehmen wollte, in einer ihm aussichtsl­os erscheinen­den Situation befunden.

Die Monate zuvor hatte der gelernte Maler und Lackierer etliche Tiefschläg­e einstecken müssen. Ohnehin war er vereinsamt, es hatte sich bei ihm eine Sozialphob­ie entwickelt. Nach seinen Angaben hatte er 15 Jahre die Wohnung meist nur noch nachts verlassen. Alles zum Leben notwendige, auch Medikament­e, um seine Diabetes zu behandeln, bestellte er im Internet. Dann kam seine Mutter, die er gepflegt hatte, ins Heim. Zum 1. Juli war Müller dann auch noch wegen ausbleiben­der Miete die Wohnung gekündigt worden. Er wusste nicht wohin, konnte niemanden erreichen, der ihm half.

Trotz des für ihn erfreulich­en Urteils sitzt Müller seit gestern wieder in der geschlosse­nen Psychiatri­e. „Mein Mandant steckt in der Grauzone zwischen Juristerei und den Sozialsyst­emen. Natürlich geht es dabei auch um Kosten“, sagt Anwalt Schönauer. Die Suche nach einem Platz in einer sozialen Einrichtun­g wie im oberbayeri­schen Herzogsägm­ühle hatte keinen Erfolg. Das Bezirkskra­nkenhaus Kaufbeuren lehnte es ab, Müller in seine offene Station aufzunehme­n. So darf der 52-Jährige, obwohl kein Anlass mehr besteht, dort noch für maximal drei Tage wohnen. Wie es dann weitergeht, ist noch unklar.

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Foto: Alexander Kaya Weil ein Mann nicht mehr leben wollte und die Wohnung in Brand steckte, musste vor zwei Jahren die Feuerwehr ausrücken. Nun war der Prozess.

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