Friedberger Allgemeine

Wie die Stadt bezahlbare Wohnungen verliert

Serap Özer und Michael Platzer leben in einem Mietshaus in Oberhausen. Sie sind zufrieden, die Miete ist günstig. Doch der Eigentümer plant jetzt ein Hostel. Warum der Mietervere­in die Stadt zu einer Reaktion auffordert

- VON JÖRG HEINZLE

Das Haus ist kein schicker Neubau, das Viertel hat in Augsburg auch nicht den allerbeste­n Ruf. Doch Serap Özer und Michael Platzer leben gerne hier. Sie haben sich ihre DreiZimmer-Wohnung in einem Mietshaus der Ulmer Straße in Oberhausen gemütlich eingericht­et. Michael Platzer ist selbststän­dig. Die Wohnung ist groß genug, dass er ein Arbeitszim­mer einrichten konnte. Serap Özer, Studentin der Archäologi­e in München, ist zu Fuß in wenigen Minuten am Oberhauser Bahnhof. Ideal zum Pendeln. Dafür zahlen sie rund 500 Euro im Monat – warm. Aber schon bald soll es die günstige Wohnung nicht mehr geben.

Rund ein Dutzend Wohnungen befinden sich in dem Gebäude und in einem direkt angrenzend­en Haus. Die Bewohner sind froh über die bezahlbare Miete. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern gehört dazu. Der Vater ist seit längerer Zeit krank, das Geld reicht gerade so. Auch diese Familie muss sich jetzt nach etwas Neuem umschauen. Einige Mieter sind schon weg, in den nächsten Monaten sollen alle raus. So will es der Besitzer, die Münchner Firma Bavaria Vermögens-Consulting und Verwaltung­s GmbH.

Seit die Firma das Haus vor einigen Jahren gekauft hat, sei das Verhältnis zwischen Mietern und Besitzer immer schlechter geworden, sagen Serap Özer und Michael Platzer. Der Eigentümer kümmere sich nicht, beklagen sie. Als im Winter die Heizung ausfiel, seien sie zehn Tage im Kalten gesessen, ehe sie repariert wurde. Sie mussten sich mit Heizlüfter­n behelfen. Auch bei anderen Problemen, etwa einem Wasserscha­den im Keller, sei es schwierig gewesen, den Eigentümer oder die Hausverwal­tung überhaupt zu erreichen. Zuletzt platzte vorige Woche in einer Wohnung, die schon länger leer steht, ein Rohr. Nachbarn riefen die Polizei, weil der Hausmeiste­r nicht ans Telefon ging. Die Beamten öffneten die Tür, die Fenster in der Wohnung standen trotz kalter Temperatur­en offen.

„Wir hatten schon länger den Verdacht, dass man uns loswerden will“, sagt Serap Özer. Inzwischen ist das Fakt. Der Chef des Immobilien­unternehme­ns hat von der Stadt die Genehmigun­g für einen Umbau erhalten. Anstelle von Wohnungen plant er ein Hostel und eine Jugendherb­erge mit jeweils rund 70 Betten. Im Frühjahr, so steht es im Bauantrag, sollen die Arbeiten dafür beginnen. Die Kündigunge­n an die Mieter sind längst verschickt.

Für die Bewohner ist es nahezu unmöglich, etwas Vergleichb­ares zu finden. Der Markt für günstigen Wohnraum in der Stadt ist leer gefegt. Serap Özer und Michael Platzer haben schon viele Angebote angeschaut. „Wir müssten fast das Doppelte bezahlen“, sagt Serap Özer. „Wenn wir die Wohnung überhaupt bekommen.“Denn die Nachfrage ist enorm. Ein Vermieter erzählte ihr am Telefon, es hätten sich für die von ihm angebotene Wohnung in kurzer Zeit rund 80 Interessen­ten gemeldet. Weitere Anfragen notiere er sich deshalb gar nicht mehr, sagte der Mann.

Der Fall aus der Ulmer Straße sei ein typisches Beispiel dafür, wie be- Wohnraum verloren gehe, sagt Thomas Weiand, der Vorsitzend­e des Mietervere­ins Augsburg. In der Regel gehe es Eigentümer­n darum, mit einer neuen Nutzung eine höhere Rendite zu erzielen. Hochwertig­e Studentena­partments oder ein Hostel würden eben mehr abwerfen als bestehende Wohnungen in einem Altbau. Weiand nennt auch Fälle, in denen Wohnungsbe­sitzer lieber an Arbeiter aus Osteuropa vermieten. Der Mietervere­in

Wohnungsma­ngel Experten sind sich einig, dass es in Augsburg zu wenige günstige Wohnungen gibt. Während die Bevölkerun­g wächst, sinkt die Zahl der geförderte­n Sozial wohnungen seit Jahren. Von knapp 23 000 Sozialwohn­ungen im Jahr 1990 sank die Zahl auf 6000 im Jahr 2015 und sie wird bis 2020 auf fordert deshalb von der Stadt, die „Zweckentfr­emdung von Wohnraum“künftig mithilfe einer Verordnung einzuschrä­nken. Möglich ist das in Bayern seit dem Jahr 2007. Wer trotz einer solchen Verordnung aus Wohnraum etwa Gewerbeflä­chen machen will, muss sich das dann vorher genehmigen lassen.

Ohne eine solche Satzung habe die Stadt gar keine andere Wahl, als ein Projekt wie in der Ulmer Straße zu genehmigen, sagt Thomas Weizahlbar­er 4900 zurückgehe­n – weil die 25 jährige Mietpreisb­indung abläuft.

Neubauten Bis zum Jahr 2020 will die städtische Wohnungsba­ugesell schaft (WBG) 600 neue Wohnungen bauen. Zusammen mit privaten Pro jekten rechnet die Stadt bis 2020 mit rund 1000 neuen geförderte­n Woh nungen. (jöh) and. Das erfuhren auch Serap Özer und Michael Platzer, als sie sich an Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU) wandten. Die Stadt habe leider „keinen Ermessenss­pielraum“, schrieb Gribl zurück. Die Antwort enttäuscht­e die Mieter. Serap Özer sagt: „Herr Gribl sagt doch immer wieder, wie wichtig bezahlbare­r Wohnraum ist.“

Die Mieter wollen noch nicht aufgeben. Serap Özer und Michael Platzer haben sich beim Mietervere­in informiert und meinen, dass ihre Kündigung gar nicht wirksam ist. Als Begründung werde in der Kündigung eine „komplette Sanierung“angegeben. Doch sie haben Zweifel, ob wirklich eine komplette Sanierung geplant ist. Denn die Betriebe im Erdgeschos­s, ein Lokal und ein Friseursal­on, dürfen angeblich auch während und nach dem Umbau bleiben. Der Eigentümer will seine Pläne offenbar nicht öffentlich erklären. Anfragen unserer Zeitung ließ er unbeantwor­tet. »Kommentar

So ist die Situation in Augsburg

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Foto: Silvio Wyszengrad Jede Menge Papier: Der Schriftver­kehr mit ihrem Vermieter füllt einen ganzen Ordner. Nun sollen Michael Platzer und Serap Özer ausziehen.

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