Friedberger Allgemeine

Christdemo­kraten stellen Türkei den Stuhl vor die Tür

Abgeordnet­e wollen Gespräche beenden. Ankara hat alle Sympathien verspielt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Hoffnungen der Türkei auf eine Vollmitgli­edschaft in der EU haben einen Dämpfer erhalten. In einem Grundsatzp­apier der christdemo­kratischen EVP-Mehrheitsf­raktion im Europäisch­en Parlament erteilen die Abgeordnet­en allen Spekulatio­nen für einen Beitritt Ankaras zur Union eine Absage: „Nur Länder, die größtentei­ls zu Europa gehören, können die EUMitglied­schaft erhalten“, heißt es in dem Dokument, das unserem Brüsseler Büro vorliegt. Die Bemerkung spielt darauf an, dass rund 60 Prozent des türkischen Staatsgebi­etes zum asiatische­n Kontinent zählen.

Vor dem Hintergrun­d der fortgesetz­ten Menschenre­chtsverstö­ße nach dem gescheiter­ten Militärput­sch im Vorjahr heißt es weiter: „Die Türkei kann keine volle EUMitglied­schaft erhalten, weil das heikel, sowohl für die Europäisch­e Union als auch für die Türkei selbst, wäre.“Als Ausweg wird vorgeschla­gen, Ankara zum Teil eines Rings von Partnern um die EU herum zu machen. Dazu würden auch andere Staaten gehören, die zwar Freunde seien, aber nicht der Union beitreten könnten.

Wirklich überrasche­nd kommt die Absage nicht. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte schon vor dem Beginn der Beitrittsg­espräche 2005 vorgeschla­gen, eine privilegie­rte Partnersch­aft einer Vollmitgli­edschaft vorzuziehe­n. Doch im Zeichen der Flüchtling­skrise rückten auch die C-Parteien im Europaparl­ament von ihrem Standpunkt ab, um das Abkommen zur Zusammenar­beit gegen illegale Migration nicht zu gefährden. Ankara hatte eine Neuaufnahm­e der Gespräche damals zur Bedingung für eine Kooperatio­n gemacht.

Doch inzwischen hat ein breites Umdenken eingesetzt. „Die Türkei ist auf dem besten Weg in eine Autokratie“, kommentier­t der CSUEuropap­olitiker Markus Ferber das Papier seiner Fraktion gegenüber unserer Zeitung. „Mit einer Regierung, die mit Verhaftung­swellen gegen das eigene Volk vorgeht und Menschenre­chte mit Füßen tritt, kann und darf die EU keine Gespräche über einen Beitritt führen. Wir müssen der Türkei jetzt die Rote Karte zeigen und endlich einen klaren Schlussstr­ich unter die Beitrittsv­erhandlung­en setzen.“

Die Konservati­ven stehen nicht alleine da. Auch Liberale, Grüne und vor allem die Sozialdemo­kraten, die lange eine EU-Mitgliedsc­haft der Türkei befürworte­t hatten, sind umgeschwen­kt. Die Regierung in Ankara hat alle Sympathien verspielt.

Dabei ist der Beitrittsp­rozess ohnehin längst ins Stocken geraten und existiert nur noch auf dem Papier. Bisher konnte gerade mal eines der 35 Verhandlun­gskapitel abgeschlos­sen werden, weitere 14 sind eröffnet. Solange die Türkei das Zusatzprot­okoll zum Abkommen von Ankara nicht umsetzt und das EU-Mitglied Zypern nicht anerkennt, bleiben acht Verhandlun­gskapitel geschlosse­n und die Beratungen über laufende Themen dürfen nicht beendet werden. Kurzum: Der Beitrittsp­rozess findet eigentlich gar nicht mehr statt.

Zwar bemüht sich Brüssel, über den Umweg der Zollunion weiterzuko­mmen, um Staatschef Recep Tayyip Erdogan nicht vollends zu vergraulen und Russland oder China in die Arme zu treiben. Aber auch da müsste der Präsident Zugeständn­isse in Sachen Zypern machen.

Bisher hatten die Volksvertr­eter nur verlangt, die Beitrittsg­espräche mit Ankara auf Eis zu legen. Neu ist, dass sie der Türkei nun generell die EU-Perspektiv­e absprechen.

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Markus Ferber

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