Die Nazis und der Zigeunerjazz
„Django“, diese französische Produktion über den großen Gitarristen Reinhardt, eröffnet den Wettbewerb um die Bären. Das Festival zeigt immer mehr Selbstbewusstsein
Berlin „Wer ist dieser Clown?“fragt Django Reinhardt. Auf einer Kinoleinwand in einer Pariser Kellerbar des Jahres 1943 ist ein kleiner, wild gestikulierender Mann zu sehen. Das zusammengeschnittene Bildmaterial ruckelt hin und her. Im Hintergrund klimpert ein Klavier. „Das ist Adolf Hitler“sagt seine Begleiterin. „Ach ja? Mieser Schnurrbart!“stellt Django fest und streicht sich über seinen Oberlippenbart. Hinter dem lässigen Kommentar verbirgt sich die souveräne Arglosigkeit eines Künstlers, der ganz in seiner Musik aufgeht und sich selbst in Zeiten von Krieg und Besatzung für unangreifbar hält, weil er in Paris riesige Konzerthallen füllt.
Mit „Django“des französischen Regisseurs Etienne Comar, eröffnet ein Film die diesjährige Berlinale, der zwar kaum Star-Power auf den Roten Teppich am Potsdamer Platz bringt, aber genau in das Profil des Festivals passt: Unter der sechzehnjährigen Regentschaft Dieter Kosslicks hat sich die Berlinale mit aus dem Konkurrenzkampf mit den Giganten in Cannes und Venedig verabschiedet und ihr eigenes Ding gemacht. Gezielt werden im Wettbewerb die Berührungspunkte zwischen Kino, Politik und Gesellschaft gesucht.
In „Django“nun steht das Wechselverhältnis zwischen Kunst und politischer Zeitgeschichte im Zentrum des Interesses. Die Musik ist wie das Kino ein Ort der Zuflucht in schwierigen Zeiten. Wenn Django (Reda Kateb) in erster langer Konzertsequenz zur Gitarre greift, existiert für ihn und Publikum nichts anderes als Musik, deren Rhythmus und Virtuosität ungefiltert ins Ohr, ins Herz und in die Beine gehen.
Für Reinhardt, der zu den wenigen „Zigeunermusikern“gehört, die unter den Nazis noch auftreten dürfen, kommt der Moment des Erwachens, wenn er zu einer Tour durch Deutschland gedrängt wird. Seine Geliebte Louise (Cécile de France), die Kontakte zur Résistance hat, überzeugt ihn und seine Frau Naguine (Beata Palya) davon, in die Schweiz zu fliehen.
Im Gegensatz zum Holocaust ist die Verfolgung der Sinti und Roma durch die Nazis bisher kaum im Kino erkundet worden. Mit seiner Ausschnittvergrößerung aus der Biografie des legendären Sinti-Musikers sucht Comar nun einen Zugang zu diesem blinden Fleck cineastischer Geschichtsschreibung.
Ohne lästige Katharsis-Dramaturgie zeigt er das allmählich wachsende, politische Bewusstsein eines Künstlers, der eigentlich nur für seine Musik lebt. Dazu gehört vor allem auch die Verortung in der eigenen Kultur, die der Film jenseits folkloristischer Sinti-Klischees illustriert, ohne allerdings eine wirklich vertraute Nähe zu ihr entwickeln zu können. Es ist ein entschieden melancholischer Festivalauftakt – einstimmend auf einen Wettbewerb, der sich mit auffallender Konsequenz mehr dem internationalen Autorenkino verschreibt und – sieht man einmal von der Comic-Verfilmung „Logan“ab, die außer Konkurrenz läuft – keine einzige Hollywood-Produktion im Angebot hat.
Ob Kosslick damit etwaige HanSelbstbewusstsein delskriege zwischen Europa und dem Great-Again-Amerika vorweg nimmt, sei dahin gestellt. Der StarQuotient vor dem Berlinale-Palast wird in diesem Jahr auf jeden Fall bescheidener ausfallen.
Aber immerhin wird heute Richard Gere, der zusammen mit Laura Linney für Oren Movermans „The Diner“über den Teppich wandeln wird, beweisen können, dass er immer noch ein paar Fans zum Kreischen bringt. Stanley Tucci hat für seine Regiearbeit „Final Portrait“Armie Hammer und Geoffrey Rush im Schlepptau. Auch die Grande Dame des französischen Kinos, Catherine Deneuve, hat ihr Kommen angekündigt.
Besonders gespannt aber darf man auf das neue Werk des finnischen Altmeisters Aki Kaurismäki sein („Die andere Seite der Hoffnung“) und auf Danny Boyles Fortsetzung von „Trainspotting“. Das deutsche Kino ist mit Thomas Arslans „Helle Nächte“, Volker Schlöndorffs „Rückkehr nach Montauk“und Andres Veiels Dokumentaion über Joseph Beuys vertreten.