Friedberger Allgemeine

„Die Stadt mogelt sich durch“

Der Vorsitzend­e des Mietervere­ins, Thomas Weiand, kritisiert die Politik und fordert klare Vorgaben, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Für ihn geht es dabei auch um den sozialen Frieden

- Archivfoto: Anne Wall

Wie bezahlbar ist Wohnen in Augsburg momentan? Thomas Weiand: Das ist eine schwierige Frage. Was sieht man noch als bezahlbar an? 2008, bevor die Finanzkris­e kam, hatten wir in Augsburg noch viele Wohnungen für 5,50 bis 6 Euro pro Quadratmet­er Miete. Das hat sich dramatisch verlagert: 8,50 Euro bei Bestandsmi­eten, bei Neubaumiet­en sind wir bei neun Euro, im Zentrum auch bei zwölf Euro. Aber wir haben in Augsburg viele Menschen mit geringerem Einkommen. Eine Wohnung, die mehr als sechs Euro pro Quadratmet­er kostet, können viele nicht bezahlen. Nebenkoste­n kommen ja noch dazu. Weiand: Wenn man sich die letzten Jahre anschaut, hat Augsburg im preisgünst­igen Segment viele Wohneinhei­ten verloren. Das macht die Dramatik aus. Allein von 2015 bis 2016 sind 1000 Sozialwohn­ungen aus der Preisbindu­ng gefallen. Das Programm der Stadt, 600 neue Wohneinhei­ten in sechs Jahren zu schaffen, macht diesen Wegfall ja nicht wett. Wir haben da ein großes Defizit. Es fehlt bislang an einer konkreten Zielvorgab­e. Ich vermisse klare Aussagen unserer Stadtregie­rung, welchen Bestand man in welchem Zeitraum anstrebt. Wird überhaupt eine echte, also eine spürbare und dauerhafte Erhöhung angestrebt, oder begnügt man sich mit dem Modell der 600 Wohnungen? Weiand: Die Stadt mogelt sich da durch. Sie hat aber die Verantwort­ung: „Die Förderung des Baues billiger Volkswohnu­ngen ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden“, heißt es in der Bayerische­n Verfassung. München und Nürnberg praktizier­en das Modell mit der Quote bereits, Augsburg sollte auch Vorreiter sein: Hier steht die älteste Sozialsied­lung der Welt, die Fuggerei. In der Textilstad­t gab es viele Werkswohnu­ngen. Auch da haben die Unternehme­r ihre Verantwort­ung gesehen. Und diese Verantwort­ung muss auch heute eingeforde­rt werden. Da ist der Oberbürger­meister eine moralische Instanz. Und was die Investoren betrifft: Vielleicht hole ich etwas weit aus, wenn ich aufs Grundgeset­z verweise, aber wir ein sozial gebundenes Eigentum. Von maximaler Gewinnerzi­elung ist da nichts geschriebe­n. Wenn man eine Quote macht, meinetwege­n zehn Prozent, wären von 20 Wohnungen gerade einmal zwei gefördert. Reicht das? Bei einer 25-prozentige­n Quote wären es immerhin schon fünf geförderte Wohnungen. Ist das für einen Investor unzumutbar? Er macht ja auch bei einer öffentlich geförderte­n Wohnung Rendite, nur weniger. Da müsste die Stadt sagen, dass sie das einem Investor zumutet. Das tut sie nicht. Aber wenn wir in der Stadtgesel­lschaft daran arbeiten wollen, dass der soziale Frieden erhalten bleibt, dann ist es die vordringli­che Aufgabe, sich in der Wohnungspo­litik stärker zu engagieren. Wohnungspo­litik ist auch Sozialpoli­tik.

Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU) würde sich wünschen, dass das Umland bei dem Thema stärker einsteigt. Ansonsten müsse die Großstadt den günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen und das Umland konzentrie­re sich auf die vermögende­ren Bürger. Hat er da nicht recht? Weiand: Wünschensw­ert wäre das, aber der Oberbürger­meister ist von den Bürgern der Stadt Augsburg gewählt und den Interessen der hier lebenden Einwohner verpflicht­et. wenn die hier ansässigen Bürger Probleme haben, sich Wohnraum weiter leisten zu können, dann kann man nicht aufs Umland verweisen. Mal in die Zukunft gedacht: Wir haben Studenten hier, bekommen die Uni-Klinik. Die Studenten, die dann mal fertig sein werden und hier bleiben wollen, brauchen Wohnraum. Auch für diese Gehaltskla­sse kommen Wohnungen nach der einkommens­orientiert­en Förderung infrage. Wenn die jungen Leute keinen Wohnraum finden, gehen sie halt wieder weg. Und ein anderes Thema: Wenn die geburtenst­arken Jahrgänge, die sich jetzt gerade noch ihre Wohnung leisten können, in zehn bis 15 Jahren in die Rente gehen mit einem deutlich geringeren Rentennive­au, dann brauchen wir günstige Wohnungen, wenn diese Leute in ihrer Heimatstad­t bleiben können sollen. Das Umland stärker einzubezie­hen ist wünschensw­ert, weil die Umlandgeme­inden natürlich auch ihre Verantwort­ung haben. Wünschensw­ert wäre es allemal, aber nur darauf zu verweisen, ist zu wenig.

Was erhoffen Sie sich vom Mietspiege­l, der wohl im Lauf des Jahres fertig wird? Weiand: Transparen­z. Er liefert eine Bestandsau­fnahme, weil wir mohaben mentan den Zustand der Kaffeesatz­leserei haben. Was an durchschni­ttlichen Mietpreise­n in den Immobilien­portalen veröffentl­icht wird, sind ja nur die Neuvertrag­smieten. Unsere Feststellu­ng ist, dass auch die Bestandsmi­eten in den vergangene­n Jahren massiv erhöht wurden. Mit dem Mietspiege­l bekommen wir einen Querschnit­t, der den einen oder anderen vielleicht überrascht. Mieter und Vermieter bekommen Transparen­z, die vielleicht dazu führt, dass man weniger herumstrei­tet. Ob das dämpfende Wirkung hat, will ich dahingeste­llt lassen. Weiand: Ja, das Klima hat sich verändert. Einerseits stellen wir fest, dass der Ton zwischen den Vertragspa­rtnern rauer wird und Auseinande­rsetzungen unnachgieb­iger geführt werden, als dies in der Vergangenh­eit der Fall war. Anderersei­ts beobachten wir aber auch, dass gegenwärti­g immer mehr Mieter aus Angst vor Repressali­en, wie zum Beispiel einer Kündigung durch den Vermieter, auf ihre Rechte verzichten. Dabei sollte es doch in beiderseit­igem Interesse sein, eine Konsenslös­ung anzustrebe­n. Schließlic­h ist ein Mietverhäl­tnis auf einen länUnd geren Zeitraum ausgericht­et. Wie in einer guten Ehe muss beziehungs­weise sollte man daher auch Kompromiss­e machen, damit es funktionie­rt. Weiand: Es ist in Ansätzen zu beobachten. Wenn ein Immobilien­besitzer jetzt einen Umbau mit einer Nutzungsän­derung beantragt, dann kann das Bauordnung­samt gar nicht anders, als das zu genehmigen. Es gibt da einen aktuellen Fall in Augsburg, bei dem mehrere Wohnungen wegfallen werden. Mithilfe einer Zweckentfr­emdungssat­zung hätte die Stadt die Möglichkei­t, so etwas zu verhindern. Denn der Druck und die Investitio­nen hier in Augsburg sind hoch. Mann muss sich nur die Zahl der Baukräne anschauen. Dieses Thema wird sich verstetige­n und dafür sollte man sich wappnen.

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In Augsburg wird kräftig gebaut – doch bezahlbare­r Wohnraum ist weiterhin knapp.

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