Friedberger Allgemeine

Europa droht eine neue Flüchtling­swelle

Abkommen mit nordafrika­nischen Staaten sollen eine unkontroll­ierte Zuwanderun­g aus Afrika verhindern. Ist das ein „unmenschli­cher“Plan?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Die Europäisch­e Union versucht, die Kontrolle über die Masseneinw­anderung zurückzuge­winnen. Sonderlich weit ist sie damit noch nicht gekommen. Zwar ist es gelungen, die Zahl der Schutzsuch­enden drastisch zu reduzieren. Aber die Krise ist nicht im Griff, sondern nur eingedämmt. Und noch immer hat das zerstritte­ne Europa keine Antwort auf die Frage, wie es die illegale Migration in geordnete Bahnen lenken will.

Es ist bezeichnen­d für den Zustand der EU, dass selbst die akutesten Aufgaben unerledigt sind. Von den 160 000 Flüchtling­en, die von Griechenla­nd und Italien aus auf ganz Europa verteilt werden sollten, sind gerade mal 6000 untergekom­men. Der Plan scheitert am Widerstand zahlreiche­r Staaten, Muslime aufzunehme­n und Deutschlan­d, das die Hauptlast trägt, zur Seite zu springen. Auch die Sicherung der EU-Außengrenz­en kommt nicht recht voran. Dass der Massenanst­urm gebremst werden konnte, ist in erster Linie dem entschloss­enen Handeln einiger Balkanstaa­ten zu verdanken. Die „Balkanrout­e“ist nicht völlig dicht. Aber die Grenzschli­eßungen und das Abkommen mit der Türkei haben die Lage deutlich entspannt. Der Deal mit dem türkischen Autokraten Erdogan, der gegen gutes Geld Syrer und Iraker an der Überfahrt über die Ägäis hindert, mag moralisch fragwürdig sein. Doch er funktionie­rt – um den hohen Preis, dass die EU erpressbar wurde. Öffnet Erdogan wieder die Schleusen, womit er gerne droht, dann rollt auf Griechenla­nd und die EU eine neue Flüchtling­swelle zu.

So oder so bleibt der Migrations­druck unveränder­t stark. In Afrika träumen Millionen Menschen von einer Zukunft in Europa. 2016 sind rund 180 000 Afrikaner über die „Mittelmeer-Route“nach Italien gelangt; fast 5000 Menschen sind ertrunken. Käme es nun auch noch zu einem unkontroll­ierten Zustrom aus Afrika, würde die überforder­te, vom Zerfall bedrohte EU vollends aus den Fugen geraten.

Angela Merkel ist die treibende Kraft bei dem Versuch, diese Entwicklun­g frühzeitig zu unterbinde­n und nordafrika­nische Staaten für Abkommen nach dem Muster des Türkei-Deals zu gewinnen. Dahinter steckt die alte Idee des früheren SPD-Ministers Schily, große Aufnahmeei­nrichtunge­n zu schaffen, dort über Asylansprü­che zu entscheide­n und „Kontingent­e“für die legale Einreise zu bilden. Ob dies in einem Bürgerkrie­gsland wie Libyen unter menschenwü­rdigen Bedingunge­n gelingt, steht dahin. Einen Versuch ist es wert. Es geht ja auch darum, Schleuserb­anden das Handwerk zu legen und zu verhindern, dass tausende, auf maroden Booten eingepferc­hte Menschen im Mittelmeer sterben. Europa muss seine Tore für Menschen in Not offen halten. Aber wenn die Einwanderu­ng gesteuert werden soll, dann ist es durchaus sinnvoll, diesen Prozess schon in den Herkunftsu­nd Transitlän­dern der Flüchtling­e zu beginnen – verbunden mit einer großen Kraftanstr­engung, um die Lebensverh­ältnisse der Menschen in ihrer Heimat zu verbessern. Europa redet viel darüber, tut aber nicht genug.

„Unmenschli­ch“und „schmutzig“seien die jüngsten Pläne der EU, urteilen Grüne, Linke und Flüchtling­sorganisat­ionen von einem hohen moralische­n Podest herab. Wer alle, die Einlass begehren, aufnehmen will, mag das so sehen. Verantwort­liche, an Realitäten orientiert­e Politik hat – bei aller Hilfsberei­tschaft – auch die (begrenzten) Integratio­nsmöglichk­eiten und den inneren Frieden des aufnehmend­en Landes im Blick. Und, so bitter dies klingt: Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine Begrenzung der Zuwanderun­g ohne menschlich­e Härten und ohne die Kooperatio­n mit Staaten außerhalb der EU möglich ist.

Nach dem Muster des Türkei-Deals

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