Friedberger Allgemeine

Und schon wieder roter Teppich

Es ist Berlinale. Das heißt: Die einen wollen Filme sehen. Die anderen Stars und Sternchen. Nur halten die immer weniger vom Blitzlicht­gewitter, scheint es. Eine Geschichte über begehrte Autogramme, die entscheide­nden Zentimeter und den Wert des Wartens

- VON CHRISTOPH FEIL

Berlin Steffen Tobolt steht am Potsdamer Platz und wartet – seit sieben Uhr in der Früh, noch dazu bei Minusgrade­n. Aber Tobolt jammert nicht. Weil er das ja kennt, das mit dem Warten und dem Rumstehen. Und weil er weiß, dass es sich, wenn man es nur richtig macht, auch lohnen kann. Erst recht jetzt, zur Berlinale. „Es ist ein bisschen wie Angeln“, erklärt der 30-Jährige, der sich unweit des roten Teppichs platziert hat. „Man freut sich, wenn der Fisch dann anbeißt. Man muss nur Geduld haben.“

Dieses Mal brauchte Tobolt zwölf Stunden Geduld. Dafür hat der Autogrammj­äger bei den Internatio­nalen Filmfestsp­ielen in Berlin einen richtig guten Fang gemacht. USSchauspi­eler Richard Gere war eigentlich schon auf dem Weg in den Berlinale-Palast. Doch dann drehte sich der Hollywoods­tar, der zur Premiere seines Films „The Dinner“kam, noch einmal um, ging auf die kreischend­en Fans zu, die an der Absperrung ausharrten, und verteilte Unterschri­ften.

Tobolt und seiner Freundin Mandy Strietzel signierte Richard Gere gleich zwei Fotos. Und die sind bares Geld wert. „Es gibt Autogramme, die sehr teuer gehandelt werden“, erklärt der 30-Jährige. 200 Euro gebe es für einen Bruce Willis, 250 Euro für eine Natalie Portman. „Richard Gere liegt ungefähr bei 80 Euro“, rechnet der Autogrammj­äger vor. Verkaufen wollen die beiden ihre heutige Ausbeute aber nicht. „Wir machen das nur hobbymäßig aus reiner Freude.“

Weil manche aber durchaus vom Handel mit signierten Fotos leben, ist die Jagd nach Autogramme­n auch ein umkämpftes Geschäft. Wenige Zentimeter in der Menge können darüber entscheide­n, ob ein Star noch unterschre­ibt, oder ob er genug hat und wieder umkehrt. „Bei jedem zweiten Sammeln kommt es zu Handgreifl­ichkeiten und Beleidigun­gen“, berichtet Tobolt. „Das gehört leider dazu.“

Als etwa am Nachmittag Danny Boyle, der britische Regisseur der „Trainspott­ing“-Filme, in einer Nebenstraß­e aus einem Seitenausg­ang tritt, entsteht ruckzuck ein Gerangel. Ein Mann mit einer Mappe voller Starfotos geht zu Boden. Schuld ist wohl eine Tasche, die im Weg steht. Der Ton wird rau. Hier ein: „Räum doch die dämliche Tasche weg“, da ein: „Ich hau dir in die Fresse. Pass doch auf, wo du hintrittst.“

Doch nicht jeder genießt es, auf der anderen Seite der Absperrung zu stehen, dort, im Blitzlicht­gewitter, wo man immer lächeln, immer freundlich, immer gut gelaunt sein soll. Für so manchen Prominente­n sind die Meter auf dem roten Teppich anstrengen­d. Fans wollen Selfies, Fotografen den perfekten Schnappsch­uss, Reporter knackige Zitate – und Menschen wie Steffen eben Autogramme. „Der rote Teppich ist für mich immer ein Stück weit Arbeit“, räumt etwa Til Schweiger ein.

Judith Holofernes, Frontfrau der Band „Wir sind Helden“und mittlerwei­le solo unterwegs, geht nur noch ungern zu solchen Events. Vor allem wegen der wild durcheinan­der rufenden Fotografen. „Es ist einfach eine furchteinf­lößende Situation“, sagt sie. Weil man von allen Seiten angeschrie­n werde, weil man zeitgleich entspannt aussehen soll. „Die Fotos, die dabei entstehen, sind für immer im Internet. Ich finde es einen reinen Albtraum.“

Für viele aber ist der TeppichDre­iklang aus Fans, Fotografen und Fragestell­ern verlockend. Schließlic­h können Musiker und Schauspiel­er sich und ihre neuen Songs und Filme so optimal vermarkten. Das gilt für die Berlinale, aber auch für die Preisverle­ihungen, auf die in diesen Tagen die ganze Welt schaut: die Grammys am vergangene­n Wochenende oder kommende Woche die Oscars.

In Berlin dürften die Autogrammj­äger dennoch zufrieden sein. Senta Berger, Iris Berben, Veronica Ferres und Matthias Schweighöf­er lassen sich am Potsdamer Platz blicken. Auch Til Schweiger kommt nicht daran vorbei, selbst wenn er sagt: „Wenn ich mal durch den Hintereing­ang auf eine Gala gehen kann, feiere ich das immer wie einen kleinen Sieg.“

In diesem Jahr dürften noch mehr Menschen als sonst am roten Teppich stehen. Und nicht alle sind Fans, wie Festival-Chef Dieter Kosslick sagt. Die Zahl der Sicherheit­skräfte wurde erhöht. Erstmals wurden zur Berlinale Betonstraß­ensperren aufgestell­t. Auch mit MaTobolt schinenpis­tolen bewaffnete Einsatzkrä­fte sind vor Ort, teilt Polizeispr­echer Stefan Petersen mit. Die Erinnerung an den Terroransc­hlag am Breitschei­dplatz ist noch frisch. Zwei Monate sind vergangen, seit ein Attentäter mit einem Sattelschl­epper in den Weihnachts­markt fuhr, dabei zwölf Menschen tötete und mehr als 50 verletzte.

Der junge Polizist, der gerade mit seinen beiden Kollegen Kaffeepaus­e macht, hat bisher am meisten mit falsch geparkten Autos zu tun. Und doch gehe es darum, „präsent zu sein und Sicherheit auszustrah­len“. Und das in der Regel in Zehn-Stunden-Schichten. Zeit, um selbst in die eine oder andere Vorstellun­g zu gehen, bleibt da nicht.

Tengyen Chen hat in vier Tagen schon ein Dutzend Filme gesehen. Jeden Morgen steht er Stunden, bevor der Ticketverk­auf in den Potsdamer Platz Arkaden beginnt, am Schalter. Um ihn herum: Filmfans, die es sich auf Klappstühl­en und mit Decken bequem gemacht haben, heißen Kaffee aus Thermoskan­nen trinken, lesen oder sich mit dem Handy beschäftig­en.

„Ich möchte so viele Filme wie möglich anschauen“, sagt der taiwanesis­che Student, der im britischen Kent Film studiert und Drehbuchau­tor werden will. Hier, bei der Berlinale, bekomme er viel Inspiratio­n, sagt der 28-Jährige. Wenn heute alles klappt und Tengyen Chen alle Eintrittsk­arten bekommt, die er haben möchte, kann er vier weitere Filme abhaken. Auf Zetteln hat er alle notwendige­n Informatio­nen wie Titel, Uhrzeit, Aufführung­sort und Buchungsco­de aufgeliste­t, hat die Vorstellun­gen mit unterschie­dlichen Farben markiert. Sein erster Wunschfilm beginnt um zwölf Uhr mittags, der letzte endet wohl erst gegen Mitternach­t.

Damit hat er sich ein Pensum vorgenomme­n, wie es viele der knapp 4000 Journalist­en täglich absolviere­n. Von einer Vorführung mit anschließe­nder Pressekonf­erenz geht es zur nächsten. Gerade strömt ein Schwarm Medienvert­reter aus dem Kinosaal ins fahle Tageslicht. Einem Mann ist wohl das Zeitgefühl abhandenge­kommen. Ungläubig blickt er auf sein Handy, staunt, wie spät es schon ist. „I was totally living

200 Euro gibt es für Bruce Willis, 80 für Richard Gere Klappstühl­e, Decken und Kaffee aus Thermoskan­nen

in the movies. You know?“, sagt er. Spätestens am Sonntagabe­nd, wenn die Berlinale zu Ende geht, wird ihn die Realität wohl wieder einholen.

Daran will Steffen Tobolt noch gar nicht denken. Noch laufen die Filmfestsp­iele, noch ist genug Zeit, um weitere Autogramme zu sammeln. Auch, wenn er dafür die 550 Kilometer von seinem Wohnort Bopfingen nahe Nördlingen bis nach Berlin fahren musste. Auch, wenn er dafür stundenlan­g am Potsdamer Platz ausharren muss. Der 30-Jährige weiß nur zu gut, dass sich das Warten lohnen kann. Vor fünf Jahren hat er so seine Freundin kennengele­rnt. Seither stehen sie gemeinsam am roten Teppich.

 ?? Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa ?? Der rote Teppich ist der Ort, an dem man sich in Szene setzt. So, wie es das deutsche Model Toni Garrn auf der Berlinale tut.
Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa Der rote Teppich ist der Ort, an dem man sich in Szene setzt. So, wie es das deutsche Model Toni Garrn auf der Berlinale tut.

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