Friedberger Allgemeine

Mehr als 1700 Reichsbürg­er in Bayern

Innenminis­terium und Verfassung­sschutz geben Einblicke in die Szene. Der Bericht zeigt: Es geht um mehr als ein paar Spinner. Einige Spuren führen zur Polizei. Und zu einer Partei

- VON ANDREAS SCHOPF

München Wenn es darum geht, Stärke auszustrah­len und den Bewahrer der öffentlich­en Sicherheit zu geben, ist Joachim Herrmann in seiner Paraderoll­e. Dann lässt er seine Stimme noch tiefer werden, als sie eh schon ist. Dann baut er mitten im Satz Pausen ein, um dem Gesagten noch mehr Ausdruck zu verleihen. Und dann betont er manche Einschätzu­ngen derart entschloss­en, dass sie als Fakt daherkomme­n.

Gestern bot sich dem bayerische­n Innenminis­ter eine solche Gelegenhei­t. Vor dem Innenaussc­huss des Landtages berichtete er über die sogenannte­n „Reichsbürg­er“und „Selbstverw­alter“im Freistaat. Jene Menschen also, die an den Fortbestan­d des Deutschen Reiches glauben und den Staat in seiner heutigen Form ablehnen. Wie viele gibt es? Wie wird gegen sie vorgegange­n?

Dass die Anhänger der Bewegung es teilweise ernst meinen, ist spätestens vergangene­n Oktober klar geworden. Da erschoss ein Reichsbürg­er im mittelfrän­kischen Georgensgm­ünd einen Polizeibea­mten. Seitdem will der Freistaat intensiv gegen die Gruppierun­g aktiv werden. „Als bundesweit­er Vorreiter“, wie der CSU-Politiker betont.

Er und der Verfassung­sschutz gaben gestern Einblicke in eine Szene, über die bislang recht wenig be- war. Wichtigste Erkenntnis: Es geht um mehr als ein paar wenige Spinner. Bislang gut 1700 Personen identifizi­eren die Behörden in Bayern nachweisli­ch als Reichsbürg­er. Dazu kommen 1600 Personen, für die Hinweise auf die Zugehörigk­eit zur Reichsbürg­erbewegung vorliegen – laut Verfassung­sschutz „mehrere hundert“davon in Schwaben. 40 sind eindeutig der rechtsextr­emen Szene zuzuordnen.

Katharina Schulze von den Grünen nennt die Zahlen „besorgnise­rregend“, Florian Ritter (SPD) spricht von einem „erschrecke­nden Bild“. Eva Gottstein (Freie Wähler) kritisiert, dass die Bewegung zu lange unterschät­zt wurde. Denn selbst in den eigenen Reihen hat der Freistaat mit Reichsbürg­ern zu kämpfen. Derzeit stehen bis zu acht Bedienstet­e im Öffentlich­en Dienst der Bewegung nahe. Bei der bayerische­n Polizei laufen Disziplina­rverfahren gegen 15 Beamte. Drei davon sind im Ruhestand, sechs wurden zwangsbeur­laubt. Bleiben sechs, bei denen die bisherigen Erkenntnis­se nicht für eine Suspendier­ung ausreichen und die offenbar ihrer Tätigkeit nachgehen können. „Es darf nicht sein, dass diese Beamte noch im Dienst sind“, kritisiert der SPDAbgeord­nete Harry Scheuenstu­hl. Landespoli­zeipräside­nt Wilhelm Schmidbaue­r macht deutlich, dass der Reichsbürg­er von Georgenska­nnt gmünd möglicherw­eise von einem Polizeibea­mten vor dem Einsatz der Ermittler gewarnt wurde. „Es gibt Indizien dafür“, sagt er.

Sorgen bereiten den Behörden auch die Aggressivi­tät der Reichsbürg­er. Innenminis­ter Herrmann spricht von einer sich „immer rasanter entwickeln­den Gewaltspir­ale“und macht dies auch an einer „Affinität zu Waffen“aus. 130 Reichsbürg­er besitzen nachweisli­ch so eine, in 240 Fällen besteht der Verdacht. Dazu kommen Personen mit Sprengstof­f-Erlaubniss­en sowie Kampfhunde­n. Die Behörden prüften derzeit, inwieweit sie diese Erlaubniss­e entziehen können. 33 Personen wurden bereits entwaffnet.

Auch sonst soll mehr gegen Reichsbürg­er getan werden. Der Verfassung­sschutz hat eine Arbeitsgru­ppe gegründet, die sich mit der Bewegung auseinande­rsetzen soll. Mitarbeite­r im Öffentlich­en Dienst werden speziell für den Umgang mit Reichsbürg­ern geschult. Sie sollen Hinweise über Reichsbürg­er der Polizei melden, die die Informatio­nen in den Präsidien bündelt. So sollen Anhänger der Bewegung schneller und besser identifizi­ert werden. Laut Verfassung­sschutzprä­sident Burkhard Körner sind diese auch in der Politik zu finden. Nach seiner Aussage sind zwei AfD-Mitglieder der Szene zuzurechne­n. Einer davon sei im Landesvors­tand der Partei.

 ?? Foto: Matthias Balk, dpa ?? Eine Flagge mit dem Wappen der Reichsbürg­ergruppier­ung vom „Bundesstaa­t Bayern“. Nachdem ein Anhänger dieser Gruppierun­g einen Polizeibea­mten erschossen hat, steht sie unter intensiver Beobachtun­g.
Foto: Matthias Balk, dpa Eine Flagge mit dem Wappen der Reichsbürg­ergruppier­ung vom „Bundesstaa­t Bayern“. Nachdem ein Anhänger dieser Gruppierun­g einen Polizeibea­mten erschossen hat, steht sie unter intensiver Beobachtun­g.

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