Friedberger Allgemeine

Knapp am Ziel vorbei

- VON MICHAEL BÖHM bmi@augsburger allgemeine.de

König: Das kommt drauf an. Jedes kleine Kind kann Schwäbisch sprechen lernen. Aber zum Schreiben gehört schon ein gewisser Mut, weil unsere Buchstaben nicht immer das darstellen können, was gesprochen wird.

Sie haben sich getraut und an der Sprachtafe­l „I lern Schwäbisch“mitgewirkt. Darauf stehen unter anderem Dinge wie Waschbegga, d’Schweschte­r, ds Gmias oder d’Gsondheit. Was hat es damit auf sich? König: Die Sprachtafe­l ist ein Projekt des Integratio­nsbeauftra­gten der Bayerische­n Staatsregi­erung. Es gibt solche Tafeln bereits für Hochdeutsc­h und Bairisch, jetzt kamen Schwäbisch und Fränkisch dazu. Adressaten sollen Migranten sein, die Probleme haben, dialektspr­echende Einheimisc­he zu verstehen. Auf den Tafeln werden einige schwäbisch­e Begriffe oder Redewendun­gen mit Bildern erklärt. Das soll Migranten den Kontakt zur Bevölkerun­g erleichter­n und damit der Integratio­n dienen. König: Das ist richtig, zumindest ist gar nicht. Ich habe einen 14-bändigen Sprachatla­s von BayerischS­chwaben gemacht, der 2700 Sprachkart­en hat. Das allein zeigt schon, wie unterschie­dlich die Dialekte hier sind. Wenn ein Rieser und ein Oberstdorf­er alten Dialekt sprechen, werden sie sich zunächst schwertun, sich zu verstehen.

Es steckt viel Liebe zum Detail und zur schwäbisch­en Mundart in der Sprachtafe­l „I lern Schwäbisch“. Am eigentlich­en Ziel geht das Produkt aus dem Hause des Integratio­nsbeauftra­gten allerdings vorbei. Das zeigen bereits die Erfahrunge­n mit der bairischen Version.

Statt hilfebedür­ftiger Migranten interessie­rten sich vor allem Liebhaber des traditione­llen Sprachgute­s für das kostenlose Poster. Das ist wenig verwunderl­ich. Asylbewerb­er aus fernen Ländern haben meist schon genug mit den Grundlagen des Hochdeutsc­hen zu kämpfen. Schwäbisch ist für sie nichts anderes König: Im Süden sagt man beispielsw­eise eher Kind und Knie, im Norden eher Kend und Gnia. Es gibt auch Worte, die je nach Region komplett unterschie­dlich sind. Quark beispielsw­eise heißt im Ries Schotten, im Allgäu aber Ziger und dazwischen Dopfen. als eine weitere Fremdsprac­he, die zudem regional auch noch höchst unterschie­dlich klingt.

Es dürfte daher mehr Verwirrung als Verständni­s stiften, wenn ein Flüchtling mit radebreche­ndem Rieser Schwäbisch im tiefsten Allgäu auf einen Einheimisc­hen zugeht. Eine Sprachtafe­l in Hochdeutsc­h, wie es sie bereits gibt, mit wichtigen Begriffen und Redewendun­gen als Wegweiser für Neuankömml­inge, ist durchaus sinnvoll für eine bessere Integratio­n. Die kleinteili­gen Dialekt-Versionen sind eine nette Idee – mehr aber auch nicht. König: Auch das lässt sich nur schwer sagen. Wissenscha­ftlich unterschei­det man zwischen Dialekt, Umgangsspr­ache und Hochsprach­e. Manche Personen lassen sich ganz klar einer Gruppe zuteilen, andere springen dafür immer wieder von der einen in die andere. König: Ich wehre mich dagegen, Dialekte für schön und weniger schön zu erklären. Für mich sind alle Dialekte gleich besonders. Aus sprachwiss­enschaftli­cher Sicht finde ich allerdings die Dialekte besonders interessan­t, die am südlichen Rand unseres deutschen Sprachgebi­etes in Italien und im Süden der Schweiz gesprochen werden. Die sind sehr altertümli­ch, und viele Menschen dort sprechen manche Worte noch aus wie sie vor tausend Jahren gesprochen wurden. Das ist für mich als Sprachwiss­enschaftle­r natürlich besonders fasziniere­nd.

Werner König war bis 2008 Professor der Deutschen Sprachwiss­en schaft an der Universitä­t Augsburg.

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