Knapp am Ziel vorbei
König: Das kommt drauf an. Jedes kleine Kind kann Schwäbisch sprechen lernen. Aber zum Schreiben gehört schon ein gewisser Mut, weil unsere Buchstaben nicht immer das darstellen können, was gesprochen wird.
Sie haben sich getraut und an der Sprachtafel „I lern Schwäbisch“mitgewirkt. Darauf stehen unter anderem Dinge wie Waschbegga, d’Schweschter, ds Gmias oder d’Gsondheit. Was hat es damit auf sich? König: Die Sprachtafel ist ein Projekt des Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung. Es gibt solche Tafeln bereits für Hochdeutsch und Bairisch, jetzt kamen Schwäbisch und Fränkisch dazu. Adressaten sollen Migranten sein, die Probleme haben, dialektsprechende Einheimische zu verstehen. Auf den Tafeln werden einige schwäbische Begriffe oder Redewendungen mit Bildern erklärt. Das soll Migranten den Kontakt zur Bevölkerung erleichtern und damit der Integration dienen. König: Das ist richtig, zumindest ist gar nicht. Ich habe einen 14-bändigen Sprachatlas von BayerischSchwaben gemacht, der 2700 Sprachkarten hat. Das allein zeigt schon, wie unterschiedlich die Dialekte hier sind. Wenn ein Rieser und ein Oberstdorfer alten Dialekt sprechen, werden sie sich zunächst schwertun, sich zu verstehen.
Es steckt viel Liebe zum Detail und zur schwäbischen Mundart in der Sprachtafel „I lern Schwäbisch“. Am eigentlichen Ziel geht das Produkt aus dem Hause des Integrationsbeauftragten allerdings vorbei. Das zeigen bereits die Erfahrungen mit der bairischen Version.
Statt hilfebedürftiger Migranten interessierten sich vor allem Liebhaber des traditionellen Sprachgutes für das kostenlose Poster. Das ist wenig verwunderlich. Asylbewerber aus fernen Ländern haben meist schon genug mit den Grundlagen des Hochdeutschen zu kämpfen. Schwäbisch ist für sie nichts anderes König: Im Süden sagt man beispielsweise eher Kind und Knie, im Norden eher Kend und Gnia. Es gibt auch Worte, die je nach Region komplett unterschiedlich sind. Quark beispielsweise heißt im Ries Schotten, im Allgäu aber Ziger und dazwischen Dopfen. als eine weitere Fremdsprache, die zudem regional auch noch höchst unterschiedlich klingt.
Es dürfte daher mehr Verwirrung als Verständnis stiften, wenn ein Flüchtling mit radebrechendem Rieser Schwäbisch im tiefsten Allgäu auf einen Einheimischen zugeht. Eine Sprachtafel in Hochdeutsch, wie es sie bereits gibt, mit wichtigen Begriffen und Redewendungen als Wegweiser für Neuankömmlinge, ist durchaus sinnvoll für eine bessere Integration. Die kleinteiligen Dialekt-Versionen sind eine nette Idee – mehr aber auch nicht. König: Auch das lässt sich nur schwer sagen. Wissenschaftlich unterscheidet man zwischen Dialekt, Umgangssprache und Hochsprache. Manche Personen lassen sich ganz klar einer Gruppe zuteilen, andere springen dafür immer wieder von der einen in die andere. König: Ich wehre mich dagegen, Dialekte für schön und weniger schön zu erklären. Für mich sind alle Dialekte gleich besonders. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht finde ich allerdings die Dialekte besonders interessant, die am südlichen Rand unseres deutschen Sprachgebietes in Italien und im Süden der Schweiz gesprochen werden. Die sind sehr altertümlich, und viele Menschen dort sprechen manche Worte noch aus wie sie vor tausend Jahren gesprochen wurden. Das ist für mich als Sprachwissenschaftler natürlich besonders faszinierend.
Werner König war bis 2008 Professor der Deutschen Sprachwissen schaft an der Universität Augsburg.