Kleines Kästchen, großes Werk
Augsburger Kunsthandwerker schufen ein einzigartiges Möbelstück. Nach über 400 Jahren kehrt das Schreibkabinett an seinen Entstehungsort zurück
Politisches Machtzentrum und europäischer Handelsplatz war Augsburg einst. Von der internationalen Atmosphäre profitierte im 16. Jahrhundert vor allem das Kunsthandwerk, das unter anderem luxuriöse Möbel herstellte. Ein Musterstück dieser Zeit ist ein von Intarsien überzogenes Schreibkabinett, das jetzt erstmals im Maximilianmuseum zu sehen ist.
Das Kästchen war einst für Reisen gedacht, Griffe erleichterten den Transport. Der Prototyp entstand in Spanien, den Trend setzten Handwerker mit diesem Schreibkabinett um das Jahr 1570 in Augsburg um. Hier kannte man solche Möbel von Diplomaten der Reichstage und reisenden Kaufleuten. „Sie dienten repräsentativen Zwecken, wurden aber auch benutzt“, erklärt Museumsleiter Christoph Emmendörffer.
Wahrscheinlich eine fürstliche Dame bewahrte in dem Kabinett Schreibutensilien und Wertgegenstände auf. Dass es einer Frau gehörte, darauf deuten die Szenen der Intarsien hin. Deren Leitthema ist laut Emmendörffer Judith aus dem Alten Testament. So zeigen die Außenseiten die Geschichte von Judith und Holofernes. Der heidnische Feldherr belagert mit seinem Heer das jüdische Bethulia. Die gottesfürchtige Judith gewinnt seine Gunst. Nach einem Fest bleibt sie in seinem Zelt und enthauptet ihn. „Die mutige Gottesstreiterin war im von Glaubenskriegen geprägten 16.Jahrhundert sehr populär“, erklärt Emmendörffer. Auch die Verkündigung Mariens wird im Inneren des Schreibkabinettes gezeigt. Es sind weibliche Themen wie Liebe und Fruchtbarkeit, die das Möbelstück einer Frau zuordnen lassen.
Der Kistler legte sein ganzes Können in das Kästchen. Eindrucksvoll zeigt es, weshalb die Augsburger Arbeiten in der Spätrenaissance so erfolgreich waren: Das Schreibkabinett ist vollständig von Intarsien überzogen. Hauchdünne, teils gefärbte Holzelemente wurden auf das Möbel geleimt. Kennzeichnend für das Augsburger Handwerk ist die kleinteilige Technik: Alle Details, selbst Linien, Punkte oder zum Beispiel Wellenlinien von Wasser, sind Einlegearbeiten, also nicht aufgemalt oder gezeichnet.
Wem das Schreibkabinett über die Jahrhunderte gehörte, ist unklar. Zu lange ist die Spanne von mehr als 400 Jahren. „Die Geschichte lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen“, sagt Emmendörffer. Da war es im Besitz einer gehobenen Gelehrtenfamilie aus der Normandie und blieb es laut dem Experten bis in die 1970er Jahre hinein. Wichtig in Emmendörffers Augen: dass das Schreibkabinett dadurch keine Raubkunst aus Zeiten der Weltkriege ist. Als Dauerleihgabe stellt es die Ernst von Siemens Kunststiftung dem Maximilianmuseum zur Verfügung.
Öffnungszeiten des Augsburger Maximilianmu seums sind dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.