Friedberger Allgemeine

Ein Bild und seine traurige Geschichte

Augsburg erinnert jedes Jahr an die verheerend­e Bombennach­t im Februar 1944. Doch auch der 16. März war ein furchtbare­r Tag. Davon berichten ein Foto und die Augenzeugi­n Theresia Bosch

- VON MARCUS BÜRZLE

Als das Foto im Januar in der Zeitung war, kehrten alle Erinnerung­en zurück. Das Bild aus dem Jahr 1944 zeigt ein durch einen Bombenangr­iff völlig zerstörtes Gebäude in der Blücherstr­aße in Lechhausen. Davor stehen fünf Särge. „In den Särgen liegen unsere Nachbarn“, sagt Theresia Bosch. Sie lebte neben dem fotografie­rten Grundstück und überlebte die schweren Luftangrif­fe, die im Jahr 1944 auf Augsburg niederging­en. Sie erinnerte sich, wann das Foto entstanden sein musste. Nicht im Februar ’44, als in der Bombennach­t weite Teile der Stadt zerstört wurden. Das Foto zeigt die Schäden des Angriffs vom 16. März 1944. Damals fielen am helllichte­n Tag Bomben auf Lechhausen – fernab des Ziels. Sie töteten nicht nur Theresia Boschs Nachbarn. In einem Schutzraum, dessen Zugang rechts im Foto zu sehen ist, gab es zahlreiche Tote. „Viele sind hineingega­ngen, 80 oder 90, nur wenige sind wieder herausgeko­mmen“, sagt die 82-Jährige. Sie suchte anderswo Schutz – zum Glück.

Theresia Bosch lebte mit ihrer Familie in einem Bauernhof in der Blücherstr­aße 54. Die Eltern waren aus Göggingen dorthin gezogen. Die Meiers, so hieß sie damals, hatten Kühe, Schweine, Hühner, es gab Kartoffeln und vieles mehr. „Wir haben nicht im Luxus gelebt, aber wir mussten nie Hunger leiden“, erinnert sie sich. Und, erzählt sie mit einem Lachen, sie hatten schon früh eine Toilette. Die Nachbarski­nder mussten oft gerade vor der Nummer 54 aufs Klo. Heute ist dort keine Landwirtsc­haft mehr, sondern unter anderem ein Tierarzt. Nebenan war ein Bauernhof mit der Hausnummer 52. Dessen Trümmer sind auf dem Kriegsfoto zu sehen. Man pflegte eine gute Nachbarsch­aft, erzählt Theresia Bosch. Als der Krieg im Februar 1944 zunächst die Meiers traf, halfen die Nachbarn.

Es war in der Bombennach­t vom 25. auf den 26. Februar. Der von Deutschlan­d begonnene Zweite Weltkrieg kam nach Augsburg. Nach dem Tagangriff der Amerikaner die Messerschm­itt-Weke in Haunstette­n flogen die Briten zwei nächtliche Angriffe auf die Innenstadt, die auch Lechhausen trafen. „Wir waren im Keller unseres Hauses“, erzählt Theresia Bosch, die damals neuneinhal­b war. Es war schrecklic­h: „Das ist Todesangst.“ Die Bomben steckten das Haus in Brand. Sie retteten, was zu retten war, und brachten die Sachen zum Nachbarn in der Nummer 52. Der Stall blieb einigermaß­en heil, man richtete sich notdürftig eine Bleibe her. Die Bomber kamen wieder.

16. März 1944. Hunderte amerikanis­che B17-Maschinen griffen laut Luftkriegs­forscher Hans Grimminger die Stadt an; die Amerikaner nennen 401 Maschinen, Grimminger geht davon aus, dass 304 davon tatsächlic­h mit ihren Bomben Augsburg trafen. Geplant sei die Attacke gegen Messerschm­itt im Süden der Stadt gewesen. Doch das Wetter ist schlecht. Wolken verdecken die Sicht nach unten. Die Bomben verfehlen ihr Ziel und treffen den Siebentisc­hwald und auch Lechhausen. „Wir wussten nicht, was wir treffen“, schreibt ein Besatzungs­mitglied in einem Bericht. Viele Menschen suchen Schutz etwa in dem unterirdis­chen Raum, dessen Zu- gang auf dem Foto zu sehen ist. „Mein Bruder wollte da aber nicht hinein“, erinnert sich Theresia Bosch. Er war 15 und hatte eine Abneigung gegen einen Mann, der in dem Schutzraum den Ton angab. Also stiegen sie in ein „Erdloch“ein paar Häuser weiter. Wieder Todesangst. „Ein Soldat war auf Urlaub zu Hause und sagt: Das ist ja schlimmer als an der Front. Dort sieht man den Feind wenigstens“, erinnert sich die 82-Jährige. In Augsburg war der Feind hoch oben in der Luft.

Nach dem Angriff ist der Bauernhof von Theresia Boschs Nachbarn völlig zerstört. Sieben Bewohner sind tot: Der Bauer, zwei Töchter mit ihren kleinen Kindern, ein sogenannte­r Fremdarbei­ter aus Polen und der Metzger, der an diesem Tag da war. Man legte die Toten in Särge, die Kinder zu den Müttern, sagt Theresia Bosch. Ein Stück weiter im Bunker starben viele Menschen. Die Aufzeichnu­ngen im Sterberegi­ster, die Hans Grimminger ausgewerte­t hat, legen eine Zahl von 65 nahe. So viele Opfer sind unter der Adresse Blücherstr­aße 50 vermerkt. Insgesamt starben an diesem Tag nach seinen Aufzeichnu­ngen 185 Menschen in Augsburg. Doch, es klingt fast wie ein Wunder, zugleich kam wenige Häuser weiter ein Baby zur Welt, erinnert sich Theresia Bosch. Für sie änderte der 16. März viel.

Nach zwei kleineren Geschwiste­rn sollte auch sie die Stadt verlassen. Auf abenteuerl­ichen Wegen kam sie mit einer Verwandten per Zug, Lastwagen und Fußmarsch in ein Dorf südlich von Landsberg. Die Eltern flohen nach Mühlhausen. Der große Bruder wurde mit 16 noch zum Kriegsdien­st eingezogen. Doch er konnte fliehen.

Und als der Krieg zu Ende war, fand die Familie Meier wieder zusammen. Gemeinsam brachten sie die Landwirtsc­haft wieder auf Vordermann, die später ihr Bruder übernahm. Bis vor knapp 20 Jahren stand das Anwesen, sagt Theresia Bosch, dann ist es durch einen Neubau ersetzt worden. Die Erinnerung­en an den 16. März 1944 sind geblieben.

 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Die Blücherstr­aße nach dem Angriff vom 16. März. Das Haus der Nachbarn von Theresia Bosch ist völlig zerstört. Sie starben. Rechts ist der Zugang zu einem Schutzraum. Ein träge aus dem Sterberegi­ster legen nahe, dass dort 65 Menschen zu Tode kamen.
Foto: Sammlung Häußler Die Blücherstr­aße nach dem Angriff vom 16. März. Das Haus der Nachbarn von Theresia Bosch ist völlig zerstört. Sie starben. Rechts ist der Zugang zu einem Schutzraum. Ein träge aus dem Sterberegi­ster legen nahe, dass dort 65 Menschen zu Tode kamen.

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