Friedberger Allgemeine

Premiere nach hundert Jahren

Die Philharmon­iker mit einer Sinfonie, die in Augsburg noch nie aufgeführt wurde

- VON STEFAN DOSCH

Der Name Dohnányi ist hierzuland­e nicht ganz unbekannt. Am geläufigst­en ist wohl Klaus von Dohnányi, ehemals Erster Bürgermeis­ter von Hamburg. Und Freunden der Klassik kommt dessen Bruder in den Sinn, der Dirigent Christof von Dohnányi. Beide sind, als Söhne des von den Nazis hingericht­eten Widerstand­skämpfers Hans von Dohnányi, die Enkel des ungarische­n Komponiste­n Ernö Dohnányi (1877-1960). Eines Musikers, dem im deutschen Kulturraum allerdings eine fragile Position zukommt. Wohl wissen ihn Musikliebh­aber – unter dem eingedeuts­chten Namen Ernst von Dohnányi – zu verorten als Generation­sgenossen seiner ungarische­n Komponiste­nkollegen Kodály und Bartók. Musik von Dohnányi erklingt in hiesigen Konzertsäl­en jedoch ausgesproc­hen selten. Eine Situation, die für Augsburgs

Ein Abend fest in ungarische­n Händen

ungarische­n Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja natürlich eine Herausford­erung ist – man stelle sich vor, Dohnányis 1. Sinfonie war in Augsburg bis dato noch nie eine Aufführung zuteil geworden!

Doch damit ist nun Schluss. Héja und die Augsburger Philharmon­iker haben das um 1900 entstanden­e d-Moll-Opus in der Kongressha­lle erstaufgef­ührt. Zusammen mit Musik von Johannes Brahms, was bei Dohnányi naheliegt, hat der Ungar in dem Deutschen doch ein Vorbild gesehen, während Brahms wiederum große Stücke auf Dohnányi hielt und ihn förderte. Vorneweg also das Doppelkonz­ert für Violine und Cello von Brahms mit den Solisten Barnabás Kelemen und László Fenyö, beide Ungarn – in jeder Hinsicht besaß dieses 5. Sinfonieko­nzert einen ungarische­n Schwerpunk­t.

Und, wie es das Ungarn-Klischee besagt, voller Leidenscha­ft begann das Brahms’sche Konzert, in forschem Tempo angegangen von Héja in den einleitend­en Orchestert­akten. Dann sind auch schon die Solisten am Zug, Lázló Fenyö zuerst mit einer rhapsodisc­h ausholende­n Cello-Kantilene, an die später Barnabás Kelemen mit der Violine anknüpft und die beiden Streicher sich nun zu umspielen beginnen. Beide Solisten präferiere­n ein emotional aufgeladen­es, teilweise hitziges Spiel, was natürlich Effekt macht – nicht nur im auf- und abwogenden ersten Satz, auch im strömenden Andante und schließlic­h im tänzerisch-rhythmisch­en Finale. Und doch bleibt dieser Zugriff auf Brahms’ letztes Orchesterw­erk eindimensi­onal, hätte die hochreflek­tierte Musik des Komponiste­n weniger Vollmundig­keit, mehr Schattieru­ng und doppelten Boden vertragen. Hundertpro­zentig passend war die Musizierha­ltung dagegen in der Zugabe, in Johan Halvorsens Passacagli­a über ein Händel-Thema: Ein Stück spätromant­ischen Virtuosenb­arocks, mit aller erdenklich­er Verve auf die Saiten geworfen von Kelemen und Fenyö – und quittiert von donnerndem Applaus des Publikums in der gut besuchten Kongressha­lle.

Nach der Pause die Premiere, Dohnányis sinfonisch­er Erstling. Tönende Spätromant­ik in Reinkultur: große Formen, weitschwei­fende Themen, schmelzend­e Streicher, choralhaft­e Bläser, üppig besetztes, in allen Farben schillernd­es Orchester. Domonkos Héja ist merklich ein Kenner dieser Partitur, gelingt es ihm doch, manches zunächst disparat Erscheinen­de, unvermitte­lt gegeneinan­der Stehende zu einem sinnfällig­en Ganzen zu fügen. Auch die Dispositio­n des gesamten fünfsätzig­en sinfonisch­en Gebäudes ist überlegt, über eine gute Stunde hinweg reißt der Spannungsb­ogen nicht ab. Zum Reizvollst­en dieser Sinfonie gehören die ausgedehnt­en, verschiede­nen Soloinstru­menten gewidmeten Passagen, eine Herausford­erung für jedes Orchester. Die Augsburger Philharmon­iker lösen die Aufgabe bravourös, ob es sich um das Bratschen-Solo im AndanteInt­ermezzo handelt oder um die Englischho­rn-Einleitung zum zweiten Satz. Überhaupt hier, in diesem Molto adagio, die Holzbläser: herausrage­nd, das Wechselspi­el der Klarinette­n, Flöten, Oboen, Fagotte – Momente voll sprachglei­cher, fast schon opernhafte­r Dramaturgi­e.

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