Ein Baby? Dann lieber einen Hund!
In San Francisco und New York ist das Leben teuer. So teuer, dass sich Durchschnittsverdiener bald keine Kinder mehr leisten können. Über Großstädte, in denen Nachwuchs zum Luxus wird, absurd hohe Mieten und die Vorzüge des Lebens auf dem Land
Washington Als Lehrer wird man in den USA normalerweise nicht reich. Es sei denn, man unterrichtet an einer teuren privaten Vorschule in Manhattan, die 30000 Dollar pro Jahr und Kind kostet und an der sich zahlungskräftige Eltern das Lehrpersonal mit einer Rolex oder einem Hermès-Schal gewogen halten. Wenn Lehrer nicht hin und wieder mit Geschenken bedacht würden, wirke sich das möglicherweise negativ auf die Kinder aus, klagte eine wohlhabende Mutter jüngst in der Boulevard-Zeitung New York Post.
Die teuren Zuwendungen an die Lehrer sind nicht das einzige Zeichen dafür, dass Kinder in vielen amerikanischen Großstädten mittlerweile nur noch für die oberen Zehntausend erschwinglich sind. Mancherorts sind die Kosten für Wohnraum und Kindererziehung in den Innenstädten so dramatisch gestiegen, dass es dort inzwischen immer weniger Kinder gibt. Der Nachwuchs wird zum Luxus.
Ein Bewohner von Manhattan muss nach Berechnungen der Verbraucherberatungs-Website NerdWallet mehr als eine halbe Million Dollar auf dem Konto haben, wenn er ein Kind einigermaßen vernünftig kleiden, ernähren und ausbilden lassen will. Das ist mehr als doppelt so viel, wie im Landesdurchschnitt nötig ist, und bezieht sich auf die Kindererziehung bis zum 18. Lebensjahr eines Sprösslings. Die vielerorts exorbitant hohen Universitätsgebühren sind also nicht einmal eingerechnet.
Vor allem die Wohnkosten machen die Zentren von US-Großstädten wie New York oder San Francisco für Familien mit Kindern unerschwinglich. Eine Drei-ZimmerWohnung in Manhattan ist längst nicht mehr unter einer Million Dol- lar zu haben. Eine Ein-Zimmer-Bude kostet 3000 Dollar Miete im Monat – immerhin knapp 2800 Euro.
Kein Wunder also, dass es immer mehr amerikanische Familien in die Vororte und aufs Land zieht. Der Internet-Immobiliendienst Zillow ermittelte, dass die Lebenshaltungskosten für Familien in vielen Innenstädten bis zu 70 000 Dollar im Jahr über denen in den Vororten liegt. Und geht es nach einer Studie der Denkfabrik Economic Policy Institute (EPI), braucht eine vierköpfige Familie in der US-Hauptstadt Washington mehr als 100 000 Dollar im Jahr, um über die Runden zu kommen – Mahlzeiten und Urlaubsreisen nicht inbegriffen.
Allein die Kosten für die Schule können bei mehreren zehntausend Dollar im Jahr liegen. Und je älter die Kinder werden, desto höher sind die Ausgaben, etwa für Kleidung. Dazu kommt, dass eine enge und teure Stadtwohnung für Kinder weniger Möglichkeiten bietet als ein oft wesentlich preiswerteres Häuschen mit Garten vor den Toren der Stadt. Warum also so viel Geld ausgeben, wenn es auch anders geht?
Deshalb spielt sich in den USMetropolen ein stiller Exodus der Familien ab. Zurück bleiben Bewohner, die vielleicht gerne Kinder hätten, aber aus finanziellen Gründen keine bekommen. Es sind Menschen wie der Software-Ingenieur Slin Lee, der mit seiner Frau Daisy Young, einer Lehrerin, in San Francisco lebt. Kinder seien nur etwas für andere Leute, sagte Lee kürzlich der New York Times. Mit dieser Sicht der Dinge ist er nicht allein: San Francisco fühle sich allmählich an „wie eine Stadt ohne Kinder“, folgert die Zeitung.
In San Francisco ist der Anteil der Kinder an der Stadtbevölkerung so stark gesunken, dass die Stadt in Kalifornien – eine der attraktivsten Metropolen des ganzen Landes – den niedrigsten Kinderanteil aller amerikanischen Großstädte hat. Nur noch 18 Prozent aller Haushalte der Stadt haben Nachwuchs. Damit liegt San Francisco weit unter dem US-Landesdurchschnitt von fast 30 Prozent. Selbst das teure New York steht wesentlich besser da als San Francisco.
Die Stadt der Golden Gate Bridge zieht seit Jahren tausende junge – und oft ledige – Menschen an. Viele sind hoch bezahlte Mitarbeiter von Technologie-Firmen wie Google oder Twitter. Manche Stadtviertel erweckten den Eindruck, als ob die Bevölkerung nur aus 20- bis 40-Jährigen bestehe. In San Francisco gebe es etwa so viele Kinder wie Hunde, schreibt die New York Times – rund 120 000.
Für Kinder ist in dieser Atmosphäre von teuren Restaurants und noch teureren Wohnungen nur wenig Platz. Der aus Frankfurt stammende Paypal-Mitgründer und Milliardär Peter Thiel wurde von der Zeitung mit den Worten zitiert, San Francisco sei „strukturell kinderfeindlich“.
In einem Anfang des Jahres veröffentlichten Bericht räumte die Planungsbehörde von San Francisco ein, der Stadt falle es schwer, Familien aus den niedrigen und mittleren Einkommensschichten zu halten. Neue Wohnungen seien teuer und nicht familiengerecht. Fast jeder vierte Bürger von San Francisco hat ein Jahreseinkommen von mindestens 150000 Dollar. Da ist es kein Wunder, dass Familien kaum bezahlbare Wohnungen finden und abwandern.
Amy Graf, eine Autorin für die Internetseite „SFGate“in San Francisco und Mutter von drei Kindern, beschrieb kürzlich, wie oft sich ihre Familie in den vergangenen Jahren von Freunden und Bekannten verabschieden musste, die in die Vorstädte zogen. Das Leben in der Innenstadt konnten oder wollten sie sich nicht mehr leisten. Mit der Zeit habe sie sich an den „Massenexodus“von Familien mit Kindern gewöhnt. Heute zögere sie, neue enge Freundschaften zu schließen, weil sie sich die Tränen bei der Trennung nach wenigen Jahren ersparen wolle, berichtete Graf.
Die Zahl der Kinder in öffentlichen Schulen in San Francisco hat sich seit dem Jahr 1970 fast halbiert. Auch andere Großstädte verlieren Kinder. In Los Angeles nahm die Zahl der Kinder innerhalb der vergangenen 15 Jahre um 300 000 ab; in New York waren es 240000. Hohe Wohnkosten und der Vormarsch der Single-Haushalte sind auch dort zu beobachten.
Da wirkt es fast wie ein Wunder, dass es überhaupt noch Familien in den Innenstädten der US-Metropolen gibt. Stadtfamilien, die nicht umziehen wollen, verweisen unter anderem auf die bessere Verkehrsinfrastruktur, die älteren Kindern mehr Eigenständigkeit beschert. Denn ihre Altersgenossen, die in den Vorstädten leben, müssen von ihren Eltern ständig von A nach B chauffiert werden. Aber diese Tatsache kann den Trend zumindest bisher nicht stoppen.
Wer familienfreundliche Städte in den USA sucht, stößt auf Namen, die nicht in Reiseführern stehen. Die Immobilien-Website Apartment List erklärte unlängst das 70 000 Einwohner große Flower
Eine halbe Million Dollar kostet ein Kind in Manhattan Seit Neuestem gibt es sechs Wochen Elternzeit – bezahlt
Mound in Texas zur besten USStadt für Familien – weil die Kriminalitätsrate niedrig ist, die Wohnungen bezahlbar sind, die Schulen gut und der Kinderanteil an der Gesamtbevölkerung relativ hoch ist. Großstädte wie New York und San Francisco rangierten auf den hinteren Plätzen, Fort Lauderdale in Florida bildete das Schlusslicht von mehr als 500 Städten. Eine andere Hitparade der besten Städte für Familien wurde von Provo-Orem angeführt, einer Vorstadtgegend südlich von Salt Lake City in Utah.
Unterdessen bemühen sich die Behörden in San Francisco darum, mehr Familien zum Bleiben zu bewegen. Seit dem vergangenen Jahr sind Arbeitgeber im Stadtgebiet verpflichtet, ihren Mitarbeitern eine voll bezahlte Elternzeit von sechs Wochen nach Geburt eines Kindes zu gewähren. Die Vorschrift gilt auch für gleichgeschlechtliche Paare. Es ist die erste solche Regelung in einer amerikanischen Großstadt. Ob die Reform dazu beiträgt, San Francisco für Familien attraktiver zu machen? Das wird erst die Zukunft zeigen.