Er war der wahre König des Rock’n’Roll
Nachruf Chuck Berry, der jetzt mit 90 Jahren in die himmlische Ruhmeshalle seiner Musik einzieht, hat die Rolling Stones ebenso wie die Beatles beeinflusst – und blieb stets das Gegenbild eines großen Konkurrenten
Bei alten Rock ’n’ Rollern ist es wie bei den oft zitierten Soldaten, die angeblich nicht sterben, sondern dahinwelken, aber unvergessen bleiben. Genauso ist es bei Chuck Berry, von dem viele sich fragten: Ja, lebt der noch?
Geht man in einen Rock’n’-Roll-Club, tanzen 20-Jährige zu „Sweet Little Sixteen“, „Maybellene“und „Roll Over Beethoven“, als gäbe es kein Morgen. Wobei das Morgen ein Gestern ist, an das sich die Boys mit Haargel und die Girls mit den Pferdeschwänzen natürlich nicht erinnern können. Auch an Chuck Berry nicht, der nicht bloß die Songs geschrieben und gesungen, sondern auch einen eigenartigen Gitarrenstil entwickelt hat.
Jener Chuck Berry hat es geschafft, so alt zu werden, wie es wenigen Rockmusikern vergönnt ist. Mit 90 Jahren ist er jetzt in seinem Haus in Wentzville bei St. Louis im US-Bundesstaat Missouri verstorben. Schon länger hatte er sich zurückgezogen aus dem Geschäft, das schon lange nicht mehr seines war. Und auch zuvor musste er über Jahrzehnte hinweg halt das spielen, was die Leute hören wollten: „Nadine“, „Promised Land“oder „Little Queenie“.
Man musste schon froh sein, wenn er mal, wie erlebt, in den 80er Jahren eine Dreiviertelstunde lang spielte, inklusive des Watschelgangs, der als „Duck Walk“sein Kennzeichen war. Die Gage, die er sich schon vor dem Auftritt auszahlen ließ, holte er meist im Koffer ab, wie die üppige Legende des wortkargen Musikers sagt.
Zu oft war der kreativste aller Rock-’n’-Roll-Musiker schon reingelegt worden, in Spelunken und Honky-Tonks. Die Enttäuschung blieb an dem am 18. Oktober 1926 in einem Elendsviertel von St. Louis geborenen schwarzen Musiker seit der Jugend hängen. Der ungewollte Zweikampf zwischen dem jungen weißen Elvis Presley und dem genialen schwarzen Songschreiber Berry ging, wie in den 50er Jahren erwartet, zugunsten von Elvis aus. Der war kein Songautor, sah aber gut aus, ließ das Becken kreisen und machte die seichten Kinofilme, zu denen ihn sein Manager Tom Parker verdonnerte. Da nutzte es nichts, dass Berry in den 50ern mit „School Days“den Nerv der Teenager inhaltlich besser traf.
Und nicht nur das: Seine meisterhaften Texte, die Kritiker sogar mit Bob Dylans Lyrik verglichen, schafften es, dass Amerika-begeisterte deutsche Jugendliche sich plötzlich auf der Landkarte der Vereinigten Staaten auskannten: „Pittsburgh, PA“oder „Norfolk, Virginia“führten uns in der Fantasie an Tankstellen und in Eisenbahn-Wartesäle und machten Lust auf das damals für viele unerreichbare Land im Westen der Welt.
Das mag heute simpel klingen, und Chuck Berrys Songs waren von Wiederholungen nicht frei. Trotzdem sind seine Gitarren-Intros legendär. Am schönsten wohl bei „Johnny B. Goode“, das die Karriere eines Country-Jungen beschreibt, Gitarre spielen konnte, als würde eine Glocke klingen.
Eher wie Alarmglocken hörten sich die Nachrichten an, die aus dem kriminellen Milieu stammten. Als Teenager hatte er wegen verschiedener Vergehen mehrere Jahre in
Wiederholt gab es Ärger mit der Justiz
Jugendhaft verbracht. 1961 wurde er erneut verhaftet und kam für anderthalb Jahre hinter Gitter, weil er eine 14-Jährige über die Grenze zweier Bundesstaaten gebracht hatte. Kritiker sprachen von einem rassistischen Urteil. Der Fund von Drogen und mit Minderjährigen gedrehten Pornos in seinem Haus sowie Steuerhinterziehung brachten ihm erneut Ärger mit der Justiz ein.
Die britische Szene interessierte sich mehr für den Musiker Chuck Berry. Die Beatles lieferten eine starke Version von „Rock And Roll Music“ab und machten „Roll Over Beethoven“in Deutschland bekannt. The Animals holten „Sweet Little Sixteen“aus der Schublade, was Jahre zuvor schon die Beach Boys als „Surfin’ USA“mit neuem Text zum Hit gemacht hatten.
Für den Rolling-Stones-Gitarristen Keith Richards ist Chuck Berry ein Idol. Noch heute erkennt man die aus kantigen Riffs herausgeschälten Gitarren-Einsprengsel bei den Stones, die zu Berry gehören wie die besagten Intros, die der Meister in seinem typischen Sound zelebrierte, indem er zwei Saiten zugleich anspielte.
Bis heute beginnen unzählige Bands ihre Rock-’n’-Roll-Numder mern mit Chuck Berrys TempoEinleitung. Dabei hatte der Rocker schon immer gerne Country-Gitarrenlinien und Blues-Elemente eingebaut. Nachzuhören bei dem wenig gespielten Stück „Have Mercy Judge“, einem Blues, der das klassische Schema konterkariert.
Die Ehrungen kamen spät: Der Grammy für sein Lebenswerk im Jahr 1985, und die Aufnahme in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame im selben Jahr stellten nun auch offiziell Berrys Bedeutung heraus.
Für dieses Jahr hatte der Veteran ein neues Album angekündigt, das seiner Frau Toddy gewidmet ist. Fast 70 Jahre waren die beiden verheiratet. Und allen Fans, die gerne ein Gitarrist wie Johnny B. Goode wären, ist zu wünschen, dass ihr Name, wie im Song, in Neonlichtern vor der Konzerthalle aufleuchtet.