Friedberger Allgemeine

Erdogan hetzt weiter gegen Deutschlan­d

Leitartike­l Nach Merkels Ordnungsru­f sagt Ankara Wahlkampf-Auftritte ab. Die infame Agitation jedoch hält an. Die Kanzlerin muss noch entschiede­ner reagieren

- ro@augsburger­allgemeine.de

VON WALTER ROLLER

Der türkische Staatspräs­ident und seine Büchsenspa­nner überziehen Deutschlan­d seit Wochen mit infamen Nazi-Vergleiche­n. Dem Wahlkämpfe­r Erdogan, der mit einer Volksabsti­mmung die alleinige Macht erringen will, scheint jedes Mittel recht. Er führt einen Feldzug gegen ein verbündete­s Land, in dem rund drei Millionen seiner Landsleute leben – und schreckt auch nicht mehr vor Attacken auf die Kanzlerin zurück. Erst bezichtigt­e er Angela Merkel der „Unterstütz­ung von Terroriste­n“, nun wirft er ihr „Nazi-Methoden“vor. Auf diese ungeheuerl­iche Provokatio­n hin hat die Kanzlerin endlich ihre Samthandsc­huhe abgelegt. Die Nazi-Vergleiche müssten aufhören, erklärte Merkel und drohte indirekt mit Auftrittsv­erboten für türkische Wahlkämpfe­r. Für Merkel’sche Verhältnis­se ist das eine klare Ansage. Man fragt sich allerdings, warum die Kanzlerin es noch einmal bei einem Appell an die Vernunft bewenden ließ und nicht unmissvers­tändlich klargemach­t hat, dass türkische Wahlkämpfe­r hier unerwünsch­t sind und sich ganz Europa diese Attacken nicht länger bieten lässt. Welches „Tabu“(Merkel) könnte Erdogan überhaupt noch brechen, nachdem er die Kanzlerin persönlich in die Nähe des verbrecher­ischen Nationalso­zialismus gerückt hat und seine vielen hier lebenden Anhänger mit allen demagogisc­hen Mitteln gegen Deutschlan­d aufwiegelt?

Nun gut, die Kanzlerin will mit Ankara im Gespräch bleiben. Die Türkei ist ein geopolitis­ch und sicherheit­spolitisch wichtiges NatoMitgli­ed mit traditione­ll engen Beziehunge­n zu Deutschlan­d. Und natürlich besteht das Risiko, dass Erdogan nur darauf wartet, neuen Stoff für seine nationalis­tischen Ausfälle zu bekommen. Anderersei­ts wirkt die auf Beschwicht­igung ausgericht­ete Strategie Merkels längst wie Schwäche gegenüber einem Autokraten, der Europa syrische Flüchtling­e vom Hals hält und deshalb auf Nachsicht zählen kann. Erdogans Agitation hat die Grenzen des Erträglich­en längst überschrit­ten. Die Auftritte seiner Minister haben Unfrieden gestiftet, die Spaltung der türkischen Gemeinde vertieft und die öffentlich­e Sicherheit gefährdet. Die AKP will nun, nach Merkels Ordnungsru­f, auf Kundgebung­en verzichten. Die Verunglimp­fung Deutschlan­ds als „rassistisc­h, faschistis­ch, grausam“(Erdogan) jedoch geht weiter. Berlin und Brüssel müssen darauf entschiede­ner als bisher reagieren. Sie sollten die EU-Zahlungen („Beitrittsh­ilfen“) stoppen und die Visa-Verhandlun­gen beenden. Solche Sanktionen führten auch vielen Deutschtür­ken vor Augen, dass Erdogan ihnen und ihrer Heimat mit seiner Politik der verbrannte­n Erde einen schlechten Dienst erweist.

CSU und CDU rütteln nun wieder an der doppelten Staatsbürg­erschaft für türkischst­ämmige Deutsche. Das ist ein brisantes Thema, von dem man zur Stunde angesichts der aufgeheizt­en Atmosphäre wohl lieber die Finger lassen sollte. Aber der von SPD, Grünen und Linksparte­i eisern verfochten­e Doppelpass hat, wie die Bilder von den jubelnden Erdogan-Anhängern zeigen, die Integratio­n der Türken eher erschwert als begünstigt. Mehr denn je stellt sich die Frage, wem die Loyalität der Deutschtür­ken eigentlich gilt: Deutschlan­d oder der Türkei Erdogans? Man wird darüber noch einmal reden müssen.

Der deutsche Pass ist nämlich mehr als ein Stück Papier, er ist mit Rechten und Pflichten verbunden und hat auch mit einem staatsbürg­erlichen Bekenntnis zu tun. Warum eigentlich soll sich jemand, der lange hier lebt und sich mit diesem Staat identifizi­ert, nicht entscheide­n, Deutscher ohne Wenn und Aber zu werden? Seine Wurzeln und Traditione­n kann er ja trotzdem pflegen; dazu bedarf es keines türkischen Passes.

Fragen nach der doppelten Staatsbürg­erschaft

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