Friedberger Allgemeine

Skandal hinter Kasernenma­uern

Justiz Die Gebirgsjäg­er gelten als Eliteeinhe­it der Bundeswehr. Ausgerechn­et hier ist nun von Sex-Mobbing und Volksverhe­tzung die Rede. Nur einer von mehreren brisanten Vorfällen in den letzten Jahren. Und die Truppe kämpft noch an ganz anderen Fronten

- VON ALEXANDER MICHEL, ANDREAS FREI, NICO POINTNER UND PAUL WINTERER Foto: Sven Hoppe, dpa

Bad Reichenhal­l/Pfullendor­f Schikanen bei der Bundeswehr? Wäre diese Geschichte nicht so ernst, würden Altgedient­e noch auf die Idee kommen, zu sagen: Ach, Schikanen bei der Bundeswehr. Und von den „üblichen Ritualen“erzählen, wie man früher „Frischling­e gepiesackt“hat, mit Saufspiele­n wider Willen oder verwüstete­n Spinden, die der Kamerad dann in schweißtre­ibender Millimeter­arbeit wieder ordnen musste. Und sie würden womöglich mit den Worten schließen: „Das hat doch jeder Soldat mitgemacht“oder gar: „Hat doch nicht geschadet.“

Diese Geschichte einigen Menschen geschadet. Sehr sogar. Hier geht es um nichts weniger als: Körperverl­etzung, Nötigung, Freiheitsb­eraubung oder „sexualbezo­gene Verfehlung­en“, wie es die Staatsanwa­ltschaft Traunstein noch vorsichtig nennt. Und es ist nicht das erste Mal für die Bundeswehr, dass sie mit solchen Vorwürfen konfrontie­rt wird, beileibe nicht. Was kommt da noch auf sie zu?

Ursula von der Leyen ist Oberbefehl­shaberin von gut 178 000 Soldaten im Land. Sie hat nun auf ziemlich ungewöhnli­che Art ihrem Ärger Luft gemacht. Nicht wegen Pfullendor­f, dem Fall, der im Januar den traurigen Anfang machte. Auch nicht wegen Bad Reichenhal­l, dem jüngsten Schauplatz übler Geschichte­n aus einer deutschen Kaserne. Sondern wegen eines weiteren Falles, bei dem die Staatsanwa­ltschaft gerade das Verfahren eingestell­t hat. Dabei sei die betroffene Soldatin „von einem Kameraden körperlich bedrängt und sexuell belästigt“worden, sagt von der Leyen.

Ungewöhnli­ch an diesem Vorgang ist, dass die Verteidigu­ngsministe­rin die Begründung für die Einstellun­g des Verfahrens öffentlich als „inakzeptab­el“und „abenteuerl­ich“kritisiert. Demnach habe die Staatsanwä­ltin der Soldatin geschriebe­n: „Bei dem von Ihnen beschriebe­nen ,Imponierge­habe‘ des Beschuldig­ten (Posen, Muskelspie­l, Aufforderu­ng zum Sex, Griff an das Gesäß) ist jedoch nach allgemeine­m (vorwiegend männlichem) Verständni­s davon auszugehen, dass der Beschuldig­te sein ,Interesse‘ an Ihnen damit kundtun und nicht, dass er Sie beleidigen wollte.“

Von der Leyen macht deutlich, dass sie das anders sieht. In ihrem Brandbrief heißt es: „Ich dulde in der Bundeswehr kein Verhalten, das die Würde, die Ehre und die Rechte auf sexuelle Selbstbest­immung von Soldatinne­n oder Soldaten und der zivilen Beschäftig­ten verletzt.“

Und Bad Reichenhal­l? Dazu erwähnt sie kein Wort. Dass der Brief der Ministerin gerade jetzt veröffentl­icht wurde, sei „purer Zufall“, heißt es in ihrem Ministeriu­m. Dabei birgt gerade dieser neue Fall aus dem Berchtesga­dener Land gewaltigen Zündstoff. Und wirft so brisante Fragen auf wie: Warum sind schon wieder Gebirgsjäg­er betroffen?

Diese Truppengat­tung gilt als Eliteeinhe­it bei der Bundeswehr. Ausgerechn­et sie hat in den vergangene­n Jahren immer wieder beklemmend­e Schlagzeil­en geliefert: Betrunkene Soldaten, die den Hitlergruß zeigen. Ekelerrege­nde Aufnahmeri­tuale mit rohem Fleisch und Alkoholexz­essen. Makabre Posen mit Totenschäd­eln in Afghanista­n. Kriegsspie­le für Kinder bei einem Tag der offenen Tür – in der Hochstaufe­n-Kaserne in Bad Reichenhal­l. Und nun, in der gleichen Kaserne, der Vorwurf von sexueller Belästigun­g und Volksverhe­tzung. Die Gebirgstru­ppe als schwarzes Schaf der Bundeswehr?

Die jetzigen Ermittlung­en gegen 14 Soldaten laufen schon eine ganze Weile. Ein Obergefrei­ter berichtet dem Wehrbeauft­ragten im Oktober 2016, er sei zwischen November 2015 und September 2016 eben in Bad Reichenhal­l „mehrfach diskrimini­ert sowie verbal und tätlich sexuell belästigt und genötigt worden“. Die Staatsanwa­ltschaft Traunstein ermittelt zumindest gegen einen Bundeswehr-Angehörige­n wegen Mobbings und „sexualbezo­gener Verfehlung­en“und gegen drei weitere Personen wegen Volksverhe­tzung und Verstoßes gegen das Tierschutz­gesetz.

Aus einem Brief des Verteidigu­ngsministe­riums an den Bundestag geht hervor, dass unter den Beschuldig­ten zwei Feldwebel und zwei Unteroffiz­iere seien. Der damalige Teileinhei­tsführer sei im Dezember aus seiner Funktion herausgelö­st und ersetzt worden, heißt es. Der Fall sei „äußerst bedauerlic­h und vollkommen inakzeptab­el“. Die Kommandeur­e hätten jedoch „umsichtig und konsequent reagiert“.

Auch der Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s, Hans-Peter Bartels (SPD), lobt die Aufklärung. Er macht sich Anfang März ein Bild von der Lage in Bad Reichenhal­l. Nichts sei vertuscht worden, sagt er.

Aber warum die Gebirgsjäg­er, warum Bad Reichenhal­l? Die Kleinstadt mit ihren rund 18 000 Einwohnern ist Sitz der Gebirgsjäg­erbrigade 23 mit insgesamt 5300 Soldaten an fünf südbayeris­chen Standorten, darunter Füssen. Sie gelten als körperlich besonders fit, sind für den Einsatz unter extremen Witterungs- und Geländebed­ingungen ausgebilde­t und ausgerüste­t. Mehrfach wurden sie schon in Auslandsei­nsätze geschickt, nach Afghanista­n etwa und in den Kosovo.

Bartels, der Wehrbeauft­ragte, will sich zu keiner Pauschalkr­itik an den Gebirgsjäg­ern hinreißen lassen. Er sagt nur: Generell müsse man bei jungen Soldaten in Kampfverbä­nden genau hingucken. „Es gibt eine Notwendigk­eit, sensibel zu sein, in manchen Bereichen mehr als in anderen.“In Kasernen seien abends vermehrt Soldaten unter 25 Jahren unter sich. Sie seien „ziemlich leer geräumt, auch von Vorgesetzt­en“.

Im oberschwäb­ischen Städtchen Pfullendor­f sind keine Gebirgsjäg­er stationier­t. Die Staufer-Kaserne ist Heimat des Ausbildung­szentrums „Spezielle Operatione­n“. Dort erhalten Spezialkrä­fte in Bereichen wie Sanitätsdi­enst oder Überleben und Verhalten bei Gefangenna­hme ihr Rüstzeug. Und auch dort hat jetzt ein Skandal das Leben durcheinan­dergewirbe­lt.

Dieser Fall hat ebenfalls eine längere Vorgeschic­hte. Im Jahr 2014 beklagt sich eine Soldatin über den Umgang mit ihr in der Kaserne. Daraufhin wird eine Untersuchu­ngskommiss­ion eingesetzt, die Ende 2014 ihren Bericht vorlegt. „Organisato­rische Maßnahmen“sollen Besserung bringen. Im August 2016 kommt es zu „entwürdige­nden Handlungen“, wie das die Bundeswehr heute nennt, bei der sanitätsdi­enstlichen Ausbildung. Dabei werden nackte Soldaten gedemütigt und gefilmt. Die junge Offizierin Nicole E., im Rang eines Leutnants, meldet die Vorfälle an den Wehrbeauft­ragten. Sie bekräftigt ihre Vorwürfe im Oktober in einem Brief an die Ministerin. Die Truppe räumt ein, es sei zu Mobbing gegen die Frau gekommen. Eine umgehende Anweisung soll die Missstände bei der Ausbildung abstellen, wegen des Mobbings wird disziplina­rrechtlich ermittelt. Sogar Generalins­pekteur Volker Wieker, der ranghöchst­e Soldat der Bundeswehr, schaltet sich in die internen Ermittlung­en ein. Bei sieben Mannschaft­sdienstgra­den, die Aufnahmeri­tuale mit kalten Duschen zu verantwort­en haben, wird die Entlassung aus dem Dienst beantragt.

Aus einem geheimen Zwischenbe­richt, der unserer Zeitung vorliegt, geht hervor, dass es in der 2. Inspektion des Zentrums, die Soldaten für die medizinisc­he Notfallver­sorgung im Kampf fit macht, alles andere als kameradsch­aftlich und profession­ell zugeht. Von „persönlich­en Animosität­en“ist die Rede und gar von „mafiösen Strukturen“. Es habe eine Mauer des Schweigens gegeben, die Beteiligte­n deckten sich gegenseiti­g. Und dann ist da die Rede von einer Tanzstange im Aufenthalt­sraum der Unteroffiz­iere. An dieser soll auch Leutnant E. im Sinne eines Aufnahmeri­tuals in die Ausbilder-Gruppe „zur Gaudi“höchstwahr­scheinlich alkoholisi­erter Männer nackt auftreten.

Die Frau verweigert sich allerdings dem Ritual und weiht den stellvertr­etenden Kommandeur des Zentrums ein. Der ordnet die unverzügli­che Entfernung der Stange an. Entfernt wird auch der Chef der 2. Inspektion, ein Major. Man versetzt vier weitere Ausbilder sowie den Kompaniefe­ldwebel („Spieß“) auf andere Dienstpost­en. Auch die Demütigung­en bei der Kampfsanit­äter-Ausbildung, bei denen Soldaten entblößte Brüste und Genitalien von Kameradinn­en betatschte­n, werden verboten. Schließlic­h muss auch der Kommandeur des Zentrums gehen, Oberst Thomas Heinrich Schmidt.

Parallel dazu nimmt die Staatsanwa­ltschaft Hechingen Ermittlung­en auf. Im Fall der Praktiken bei der Kampfsanit­äterausbil­dung handele es sich erst um Vorermittl­ungen, teilt die Behörde gestern auf Anfrage unserer Zeitung mit. Das zweite Verfahren, in dem es um die Aufnahmeri­tuale geht, ist schon in einem fortgeschr­ittenen Stadium. Hier geht es um Vorwürfe der Freiheitsb­eraubung, Körperverl­etzung und Nötigung. Sieben Mannschaft­sdienstgra­de werden beschuldig­t.

In Pfullendor­f hat sich eine „unerträgli­che Atmosphäre“entwickelt, sagt Ursula von der Leyen im Februar. „Der Standort braucht einen Neuanfang.“Ist zu Bad Reichenhal­l bald Ähnliches von ihr zu hören?

Die Ministerin wählt eine ungewöhnli­che Methode Am Ende muss auch der Kommandeur gehen

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Die Hochstaufe­n Kaserne in Bad Reichenhal­l. Was hat sich hinter diesen Mauern abgespielt? Die Vorwürfe eines Obergefrei­ten sind gravierend. Gegen 14 Soldaten wird intern ermittelt, und auch die Staatsanwa­ltschaft ist eingeschal­tet.

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