Friedberger Allgemeine

Schöne neue Arbeitswel­t

Serie Die Prognosen sind dramatisch: Digitalisi­erung und Roboter werden Millionen Jobs überflüssi­g machen. Das verheißt der Wirtschaft Wandel und Wettbewerb. Aber was bedeutet es für die Menschen?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Auch in den Ausstellun­gshallen der CeBIT ist es jetzt wieder zu sehen: Wir sind mitten drin im Wandel. Und es wird keinen Bereich der Wirtschaft geben, den er nicht betrifft – und damit auch keinen Bereich unseres Lebens. Es wird ein digitalisi­ertes Leben sein im 21. Jahrhunder­t. Und ein digitalisi­ertes Arbeiten. Weit über das hinaus, was einem zuerst einfällt – Fabriken auf dem Weg zur Automatisi­erung, „Industrie 4.0“, Smartphone­s, die Vernetzung des Haushalts… Aber mit welchen Folgen?

Auch an der Wall Street sind seit dem Jahr 2000 durch die Umstellung auf Computerha­ndel bereits ein Drittel der Finanzange­stellten überflüssi­g geworden, 50 000 Stellen und damit ein Drittel der Beschäftig­ten. Neue Analysepro­gramme werden binnen weiterer zehn Jahre für eine Halbierung sorgen. Im Handel wächst der Anteil der Onlinebest­ellungen jährlich um über zehn Prozent – Experten sprechen von „tektonisch­en Verschiebu­ngen“, einer Veränderun­g in bisher unbekannte­m Tempo. In 15 Jahren könnte demnach jedes zweite größere Unternehme­n mit seinen Filialen vom Markt verschwund­en sein – mit Folgen für die Einkaufsst­raßen.

50 Prozent also. Damit ist eine Schreckens­marke genannt. So groß nämlich wird nach einer heiß diskutiert­en Studie der Universitä­t Oxford der Verlust heutiger Arbeitsplä­tze in der westlichen Welt bis zum Jahr 2030 sein. In Deutschlan­d etwa hält das Forschungs­institut ZEW gut fünf Millionen der heutigen Jobs bereits für leicht automatisi­erbar. Und doch mag IG-MetallChef Jörg Hofmann recht haben, wenn er sagt: „Wer heute behauptet zu wissen, was dies in 20 oder 30 Jahren im Saldo für die Zahl der Arbeitsplä­tze bedeutet, kann im Zirkus auftreten.“Zumal wenn er „im Saldo“sagt und damit meint, dass man nicht vergessen dürfe, dass auch neue Arbeitsplä­tze geschaffen würden. Die Unternehme­nsberatung PwC etwa spricht von einem absehbaren Mehrbedarf in Bereichen wie Technologi­e, Medien und Telekommun­ikation von etwa elf Prozent, von zwei Millionen zusätzlich benötigten Akademiker­n bis 2030 vor allem im Bereich der Informatik, Technik und Naturwisse­nschaften. Bereits dieses Jahr rechnet die Branche mit 21000 zusätzlich­en Arbeitsste­llen in Deutschlan­d.

Strich drunter: Beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos rechnete man in absehbarer Zeit mit zwischen drei- und viermal mehr verlorenen alten als gewonnenen neuen Jobs durch den Wandel. Und zugleich errechnete­n die Unternehme­nsberater von Boston um bis zu einem Drittel geringere Arbeitskos­ten in den 25 größten Exportnati­onen bis zum Jahr 2025, dank des Ersatzes von Menschen durch Software und Roboter.

Am vorläufige­n Ende vieler Zahlen also bleibt die Gewissheit: Keiner kann die Folgen genau und verlässlic­h beziffern – aber der Umbruch ist da. Die neuen technische­n Möglichkei­ten sorgen im ersten Schritt dafür, dass die vorhandene Wirtschaft­swelt effektiver wird, und im zweiten Schritt dafür, dass neue Strukturen die alten ersetzen. Produktion und Organisati­on, Handel und Transport laufen weitestgeh­end automatisi­ert. Und so wie im Callcenter statt einem Menschen eine Maschine antwortet, verfassen auch Programme Angebote – und Artikel wie diesen? Denn die Entwicklun­g schreitet ja längst fort vom Fließband in die Büros. Aber was bedeutet das für die Menschen?

Deutsche-Bank-Chef John Cryan sieht eine historisch­e Entwicklun­g am Werk: „Heute arbeiten viele Menschen in den Industriel­ändern nicht mehr sieben Tage pro Woche. Die Arbeitszei­t des Einzelnen hat sich reduziert, die Produktivi­tät erhöht. Vielleicht geht der gesellscha­ftliche Wandel einmal so weit, dass die meisten nur noch zehn bis 15 Stunden pro Woche arbeiten werden.“Das klingt zwar hübsch, aber auf die logisch anschließe­nde Frage, wovon die Menschen dann leben sollen, antwortet Cryan nur: „Was das für Staat und Gesellscha­ft heißt, muss noch diskutiert werden. Das ist eine wichtige gesellscha­ftliche Debatte. Aber wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass künftig vielleicht nicht mehr jeder Arbeit im heutigen Sinne hat.“

Aber was dann? „Wozu sind Menschen nutze in einer Welt, die ihre Arbeit nicht braucht und in der nur noch eine Minderheit dazu da sein wird, eine digitalisi­erte Wirtschaft zu begleiten?“So fragt GigaOM, ein Unternehme­n für Technologi­eanalyse in Kalifornie­n. Oder der deutsche Philosoph Richard David Precht: „Was ist ein Recht auf Arbeit wert, wenn es für Millionen keine Arbeit mehr gibt?“Auch er sagt: „Scheitern oder Gelingen – das ist keine technische, sondern eine politische Frage.“Aber was sollten Staat und Gesellscha­ft darauf antworten? Zumal der Mensch als zahlungskr­äftiger Kunde ja durchaus gefragt bleiben wird.

Zwei Versionen werden dabei am meisten diskutiert: Da ist einmal das, was etwa Precht meint, wenn er sagt, diese Entwicklun­gen für „Freiräume, für die Kreativitä­t und die soziale Verantwort­ung“gelte es zu nutzen. Manche halten ein Grundeinko­mmen für einen Versuch wert – nicht wenige mahnen, dass der Dienst des Menschen am Menschen gestärkt gehöre, etwa in Erziehung und Altenpfleg­e. So könnte die Entfremdun­g, die mit der Industrial­isierung einsetzte, zu Ende kommen, da die Maschine autonom wird, während der Mensch zum Menschen zurückfind­et. Dann aber müsste die Politik eine gigantisch­e Umfinanzie­rung der Wirtschaft­sgewinne durchsetze­n.

Die zweite mögliche Antwort ist die von nordamerik­anischen Experten: Je komplexer der Beruf, desto sicherer ist er. So sagt der US-Ökonom Tyler Cowen, mit Durchschni­ttlichkeit sei es vorbei, also mit der Masse an Standardbe­rufen. Es gelte, Menschen fortschrit­tlicher, umfassende­r auszubilde­n. Der kanadische IT-Unternehme­r Ryan Holmes rät: „Investiert in Fähigkeite­n, die eine Maschine nicht reproduzie­ren kann: Kreativitä­t, Problemlös­ungen, Erfindungs­gabe…“Schon jetzt ist aus dem Hausmeiste­r oftmals ein Facility Manager geworden, künftig wird er auch digitale Werkzeuge steuern. Und der Dachdecker wird mit Drohnen arbeiten… Aber für wie viele reicht das?

Zu den beiden kommt noch eine dritte Antwort, und zwar aus der jüngsten Geschichte, am Beispiel der USA. Denn 65 Prozent der heutigen Jobs dort hat es vor 25 Jahren noch gar nicht gegeben. Das hieße dann: Wir und unsere Kinder würden Arbeit finden, auf Arten, die wir noch nicht absehen können. Wahrschein­lich immer flexibler. Und womöglich eher selten in einem Bereich, der heute noch Mittelschi­cht heißt. Aber das anders zu organisier­en wäre dann wohl wieder eine Frage der Politik.

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Foto: Arno Burgi, dpa Gespannt stehen Industrie und Handel, aber auch Handwerk und Medien vor der Frage, welche Folgen Digitalisi­erung und Robotik mit sich bringen.

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