Friedberger Allgemeine

Albtraum Raubüberfa­ll

Was tun, wenn plötzlich ein Maskierter vor einem steht? Ein Bäcker aus Augsburg handelte geistesgeg­enwärtig. Die Polizei und ein Psychologe geben Tipps für Betroffene

- VON ANDREAS BAUMER

Augsburg Eigentlich ist Bäckermeis­ter Christoph Mayer keiner, der einfach so schreit. Doch an jenem Donnerstag im Februar um kurz nach fünf Uhr morgens hat der 52-Jährige genau das getan. Mayer wollte gerade frische Semmeln in seinen Laden im Augsburger Stadtteil Haunstette­n bringen, da richtete ein junger vermummter Mann eine Pistole auf ihn. Doch Mayer ließ sich nicht einschücht­ern. Er brüllte: „Hau ab! Schleich dich!“Der Räuber stutzte. Dann flüchtete er.

Überfälle kannte Mayer bis dahin nur aus dem Fernsehen. Jetzt weiß er, wie sich einer in Wirklichke­it anfühlt. Der 52-Jährige hatte Mut. Der Räuber stand einen Meter entfernt von ihm. Seine Pistole richtete er auf Mayers Hüfte, nicht auf seine Brust oder seinen Kopf. Nur deshalb wagte es der Bäcker, ihn anzuschrei­en. Mit Erfolg. Doch Mayer ist eine Ausnahme.

„Opfer von Raubüberfä­llen sollten sich selbst nicht in Gefahr brin- gen“, sagt Manfred Gottschalk vom Polizeiprä­sidium Schwaben Nord anlässlich des heutigen Tages der Kriminalit­ätsopfer. Das sei am wichtigste­n. Ist der Räuber weg, sollten die Betroffene­n umgehend die Polizei rufen. Dann seien die Chancen auf eine erfolgreic­he Fahndung am größten. 2457 Raubdelikt­e zählte die Polizei 2016 in Bayern. Banküberfä­lle kommen auch dank besserer Überwachun­g inzwischen seltener vor. Am häufigsten überfallen Räuber Spielhalle­n und Tankstelle­n. Nur wenige von ihnen ziehen, wie in Mayers Fall, ohne Beute wieder ab.

Die meisten Opfer haben nicht so viel Glück wie der Bäcker. Einige von ihnen suchen dann Hilfe bei Joachim Schottmann. Der Psychologe betreut seit Jahren Opfer von Raubüberfä­llen. „Bis zu 80 Prozent verarbeite­n das traumatisc­he Erleb- nis eines Überfalls ganz von allein“, sagt der 46-Jährige. Der Rest brauche profession­elle Hilfe. Typischerw­eise durchlaufe­n Überfallop­fer drei Phasen, erklärt Schottmann.

Am Anfang stehe der Schock. „Bei einem Überfall dringt etwas völlig Unerwartet­es in das Leben des Opfers ein.“Menschen reagierten darauf ganz verschiede­n. Die einen seien aufgewühlt, die anderen blieben zumindest äußerlich kühl.

Dem ersten Schock folge eine Zeit der Unsicherhe­it. Die Erinnerung an den Überfall komme zurück, Angst mache sich breit. Die Opfer sehnen sich nach Kontrolle. Manche verrammeln ihre Tür und schlafen mit brennendem Licht.

Schottmann empfiehlt Opfern, sich viel zu bewegen und auf ihr Bauchgefüh­l zu achten. Deren Mitmensche­n sollten bedenken: „Nach Banküberfä­llen machen Kunden gern mal Witze oder beschwicht­igen, dass ja im Grunde nicht viel passiert sei. Das ist aber für die Betroffene­n immer eine Ohrfeige, sie fühlen sich nicht ernst genommen.“

Zwei bis vier Wochen würden die Opfer im Schnitt im Zustand der Verunsiche­rung verharren, sagt Schottmann. Dann komme die dritte Phase. In ihr entscheide sich, ob es Betroffene­n gelingt, den Überfall als Narbe in ihr Leben einzubauen und ihren Alltag zu normalisie­ren. Manche litten auch danach noch unter Schreckhaf­tigkeit, Angstzustä­nden und Verspannun­gen. „Manche meinen auch sechs oder acht Wochen später noch, das Rasierwass­er des Täters zu riechen, den Lauf der Pistole im Rücken zu spüren“, sagt Schottmann. Erholen sich die Opfer in dieser dritten Phase nicht, sollten sie Hilfe bei einem Psychologe­n suchen. Auch Opferorgan­isationen wie der Weiße Ring bieten Hilfe an.

Eine Therapie benötigte Bäcker Mayer nicht. Er sieht sich auch nicht als „klassische­s“Opfer. Schließlic­h war es der Räuber, der Angst bekommen habe. In einen Überfall will er auf keinen Fall nochmals geraten. Denn ob er dann wieder so mutig wäre, wisse er nicht. Der mutmaßlich­e Täter übrigens wurde gefasst.

 ??  ?? Christoph Mayer
Christoph Mayer

Newspapers in German

Newspapers from Germany