Friedberger Allgemeine

Ein Spieler von einem anderen Stern

Roger Federer muss verletzt ein halbes Jahr pausieren. Und was macht er dann? Das, was es er immer tut: siegen

- VON JÖRG ALLMEROTH

Augsburg Der Mann hat eigentlich den Überblick gepachtet. Schließlic­h blickt John Isner aus der lichten Höhe von 208 Zentimeter­n hinaus in die Welt. Was er allerdings dieser Tage an seinem Arbeitspla­tz sieht, auf den Centre-Courts des Tennisbetr­iebs, kann der aufgeweckt­e Amerikaner nicht so ganz verstehen. „Sind wir zu 100 Prozent sicher, dass Fed vom Planeten Erde stammt?“, twitterte der Gigant am Sonntagabe­nd an seine InternetJü­nger – es war der in Worte gefaßte Kniefall vor dem Mann, der längst für den verrücktes­ten Saisonstar­t im modernen Profitenni­s steht.

Ein halbes Jahr Verletzung­spause, ein halbes Jahr Unsicherhe­it, Zweifel, Fragen, Skepsis – und was kommt dann bei jenem „Fed“, bei dem scheinbar extraterre­strischen Roger Federer, dem Schweizer Maestro: erst der Sieg bei den Australian Open wie aus dem Nichts, ein beispiello­ser Glücksmome­nt, der unwahrsche­inlichste Pokalcoup einer Traumkarri­ere.

Und nun noch hinterher, kaum weniger erwartet, kaum weniger sensatione­ll, auch noch der Triumph beim ersten Masters dieser Spielserie. In der kalifornis­chen Wüste, in Indian Wells, an einem Schauplatz, der im Tennis als fünfter Grand Slam gilt. „Es ist die nächste Märchenwoc­he für mich“, sagte Federer nach dem 6:4, 7:5-Sieg über seinen Freund, über seinen langjährig­en Weggefährt­en, Doppelpart­ner und profession­ellen Rivalen Stan Wawrinka.

Die Australian Open, Indian Wells: Es hätten die ersten schwierige­n, heiklen Comeback-Schritte für Federer sein müssen, ein langsames Herantaste­n an die enteilte Weltspitze. Doch nun wurden die beiden Turniere zu Stationen eines Erfolgszug­es des alten Meisters, der so mitreißend und leidenscha­ftlich aufspielte, als wäre er einem Jungbrunne­n entstiegen. Und keiner könnte über Federer, den Mann der Stunde, den Mann des bisherigen Jahres 2017, mehr erstaunt sein als Federer selbst: „Ich bin allen meinen Hoffnungen weit voraus. Für mich kommt das völlig überrasche­nd“, sagte der 35-jährige Familienva­ter.

Bis zur Saisonhälf­te hätte er sich im für ihn denkbar günstigste­n Fall wieder „unter den ersten Acht der Weltrangli­ste“gesehen, nun rückte er mit dem Sieg in der kalifornis­chen Wüste, beim Tennis-Spektakel des Internet-Milliardär­s Larry Ellison, bereits auf Platz sechs der Charts vor.

Selbst die Geschlagen­en und Enttäuscht­en können ihrem sympathisc­hen Spielverde­rber nicht wirklich böse sein, diesem legendären Virtuosen: „Der lacht doch tatsächlic­h, das A ... loch“, entfuhr es Verlierer Wawrinka, als er bei der offizielle­n Abschlussz­eremonie etwas schwer und stotternd zu den Zuschauern sprach. Aber schon im nächsten Moment bekannte er dann, in Richtung des erheiterte­n Federer: „Ich bin dein größter Fan.“Was trotz aller Liebenswür­digkeit des Herrn Federer nicht selbstvers­tändlich ist, wenn man, wie Wawrinka, 20 von 23 Matches gegen ihn verloren hat, auch auf den allergrößt­en Bühnen. Und in diesem Jahr eben auch schon wieder in Melbourne und Indian Wells.

Federer ist ein Phänomen, mehr denn je. Denn das fortgeschr­ittene Profi-Alter, aber auch seine Verletzung­en zuletzt haben ihn noch einmal zum Radikalref­ormer des eigenen Spiels gemacht. Was unter dem Zwang zur Innovation entstanden ist: Nicht weniger als der aggressivs­te, offensivst­e, energischs­te Federer überhaupt, ein noch stürmische­rer Federer als der ganz junge, gerade an den ersten Großtaten feilende Federer.

Federer, geplagt von manchen Zipperlein, wiederholt vom schmerzend­en Rücken, verschwend­et aktuell in großen Duellen keine Zeit, er muss die Entscheidu­ng suchen.

Es wird einen Federer geben, der seltener spielen wird. Kein Wunder für einen Mann, der nun mit 35 ältester Masters-Sieger überhaupt ist. Aber es wird, wo immer er dann auch startet, erst recht den 100-Prozent-Federer geben. Einen, für den mit 90 Turniersie­gen noch immer und noch lange nicht Schluss ist.

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Roger Federer

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