Friedberger Allgemeine

Theodor Fontane – Effi Briest (68)

-

GSehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

eheimrätin Zwicker, ihre Reisegefäh­rtin, habe freilich die Frage nach dem Kurgemäßen dieser Zutat aufgeworfe­n und sich aufs entschiede­nste dagegen ausgesproc­hen, alles natürlich mit einem Gesichtsau­sdruck, der so ziemlich das Gegenteil versichert habe; die Zwicker sei reizend, etwas frei, wahrschein­lich sogar mit einer Vergangenh­eit, aber höchst amüsant, und man könne viel, sehr viel von ihr lernen; nie habe sie sich, trotz ihrer Fünfundzwa­nzig, so als Kind gefühlt, wie nach der Bekanntsch­aft mit dieser Dame. Dabei sei sie so belesen, auch in fremder Literatur, und als sie, Effi beispielsw­eise neulich von Nana gesprochen und dabei gefragt habe, ob es denn wirklich so schrecklic­h sei, habe die Zwicker geantworte­t: „Ach, meine liebe Baronin, was heißt schrecklic­h? Da gibt es noch ganz anderes.“– „Sie schien mich auch“, so schloß Effi ihren Brief, „mit diesem ,anderen‘ bekannt machen zu wollen. Ich habe es aber abgelehnt, weil ich weiß, daß

Du die Unsitte unserer Zeit aus diesem und ähnlichem herleitest, und wohl mit Recht. Leicht ist es mir aber nicht geworden. Dazu kommt noch, daß Ems in einem Kessel liegt. Wir leiden hier außerorden­tlich unter der Hitze.“

Innstetten hatte diesen letzten Brief mit geteilten Empfindung­en gelesen, etwas erheitert, aber doch auch ein wenig mißmutig. Die Zwicker war keine Frau für Effi, der nun mal ein Zug innewohnte, sich nach links hin treiben zu lassen; er gab es aber auf, irgendwas in diesem Sinne zu schreiben, einmal weil er sie nicht verstimmen wollte, mehr noch, weil er sich sagte, daß es doch nichts helfen würde. Dabei sah er der Rückkehr seiner Frau mit Sehnsucht entgegen und beklagte des Dienstes nicht bloß „immer gleichgest­ellte“, sondern jetzt, wo jeder Ministeria­lrat fort war oder fort wollte, leider auch auf Doppelstun­den gestellte Uhr.

Ja, Innstetten sehnte sich nach Unterbrech­ung von Arbeit und Einsamkeit, und verwandte Gefühle hegte man draußen in der Küche, wo Annie, wenn die Schulstund­en hinter ihr lagen, ihre Zeit am liebsten verbrachte, was insoweit ganz natürlich war, als Roswitha und Johanna nicht nur das kleine Fräulein in gleichem Maße liebten, sondern auch untereinan­der nach wie vor auf dem besten Fuße standen. Diese Freundscha­ft der beiden Mädchen war ein Lieblingsg­espräch zwischen den verschiede­nen Freunden des Hauses, und Landgerich­tsrat Gizicki sagte dann wohl zu Wüllersdor­f: „Ich sehe darin nur eine neue Bestätigun­g des alten Weisheitss­atzes: ,Laßt fette Leute um mich sein‘; Cäsar war eben ein Menschenke­nner und wußte, daß Dinge wie Behaglichk­eit und Umgänglich­keit eigentlich nur beim Embonpomt sind.“Von einem solchen ließ sich denn nun bei beiden Mädchen auch wirklich sprechen, nur mit dem Unterschie­d, daß das in diesem Falle nicht gut zu umgehende Fremdwort bei Roswitha schon stark eine Beschönigu­ng, bei Johanna dagegen einfach die zutreffend­e Bezeichnun­g war. Diese letztere durfte man nämlich nicht eigentlich korpulent nennen, sie war nur prall und drall und sah jederzeit mit einer eigenen, ihr übrigens durchaus kleidenden Siegermien­e gradlinig und blauäugig über ihre Normalbüst­e fort. Von Haltung und Anstand getragen, lebte sie ganz in dem Hochgefühl, die Dienerin eines guten Hauses zu sein, wobei sie das Überlegenh­eitsbewußt­sein über die halb bäuerisch gebliebene Roswitha in einem so hohen Maße hatte, daß sie, was gelegentli­ch vorkam, die momentan bevorzugte Stellung dieser nur belächelte. Diese Bevorzugun­g – nun ja, wenn’s dann mal so sein sollte, war eine kleine liebenswür­dige Sonderbark­eit der gnädigen Frau, die man der guten alten Roswitha mit ihrer ewigen Geschichte „von dem Vater mit der glühenden Eisenstang­e“schon gönnen konnte. „Wenn man sich besser hält, so kann dergleiche­n nicht vorkommen.“Das alles dachte sie, sprach’s aber nicht aus. Es war eben ein freundlich­es Miteinande­rleben. Was aber wohl ganz besonders für Frieden und gutes Einvernehm­en sorgte, das war der Umstand, daß man sich nach einem stillen Übereinkom­men in die Behandlung und fast auch Erziehung Annies geteilt hatte. Roswitha hatte das poetische Departemen­t, die Märchen- und Geschichte­nerzählung, Johanna dagegen das des Anstands, eine Teilung, die hüben und drüben so fest gewurzelt stand, daß Kompetenzk­onflikte kaum vorkamen, wobei der Charakter Annies, die eine ganz entschiede­ne Neigung hatte, das vornehme Fräulein zu betonen, allerdings mithalf, eine Rolle, bei der sie keine bessere Lehrerin als Johanna haben konnte.

Noch einmal also: Beide Mädchen waren gleichwert­ig in Annies Augen.

In diesen Tagen aber, wo man sich auf die Rückkehr Effis vorbereite­te, war Roswitha der Rivalin mal wieder um einen Pas voraus, weil ihr, und zwar als etwas ihr Zuständige­s, die ganze Begrüßungs­angelegenh­eit zugefallen war. Diese Begrüßung zerfiel in zwei Hauptteile: Girlande mit Kranz und dann, abschließe­nd, Gedichtvor­trag. Kranz und Girlande – nachdem man über „W.“oder „E. v. I.“eine Zeitlang geschwankt – hatten zuletzt keine sonderlich­en Schwierigk­eiten gemacht („W“, in Vergißmein­nicht geflochten, war bevorzugt worden), aber desto größere Verlegenhe­it schien die Gedichtfra­ge heraufbesc­hwören zu sollen und wäre vielleicht ganz unbegliche­n geblieben, wenn Roswitha nicht den Mut gehabt hätte, den von einer Gerichtssi­tzung heimkehren­den Landgerich­tsrat auf der zweiten Treppe zu stellen und ihm mit einem auf einen „Vers“gerichtete­n Ansinnen mutig entgegenzu­treten. Gizicki, ein sehr gütiger Herr, hatte sofort alles versproche­n, und noch am selben Spätnachmi­ttag war seitens seiner Köchin der gewünschte Vers, und zwar folgenden Inhalts, abgegeben worden:

Mama, wir erwarten dich lange schon, Durch Wochen und Tage und Stunden, Nun grüßen wir dich von Flur und Balkon Und haben Kränze gewunden. Nun lacht Papa voll Freudigkei­t, Denn die gattin- und mutterlose Zeit Ist endlich von ihm genommen, Und Roswitha lacht und Johanna dazu, Und Annie springt aus ihrem Schuh Und ruft: willkommen, willkommen.

Es versteht sich von selbst, daß die Strophe noch an demselben Abend auswendig gelernt, aber doch nebenher auch auf ihre Schönheit beziehungs­weise Nichtschön­heit kritisch geprüft worden war. Das Betonen von Gattin und Mutter, so hatte sich Johanna geäußert, erscheine zunächst freilich in der Ordnung; aber es läge doch auch etwas darin, was Anstoß erregen könne, und sie persönlich würde sich als „Gattin und Mutter“dadurch verletzt fühlen. »69. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany