Friedberger Allgemeine

Wie Demenz das Leben einer Familie bestimmt

Eine Entfremdun­g wie in Zeitlupe und Rückschrit­te, die sich in Etappen vollziehen: Eine Tochter berichtet, wie sich ihre Mutter in den vergangene­n fünf Jahren verändert hat

- VON MIRIAM ZISSLER Symbolfoto: Jens Büttner, dpa

Die Veränderun­gen im Leben von Christa Mayers* Mutter kamen schleichen­d. Anfangs war nicht ganz klar, was der heute 84-Jährigen fehlte. Vor fünf Jahren fing sie an, sich bei Unterhaltu­ngen zurückzune­hmen. „Das haben wir dann auf die alten Hörgeräte geschoben. Meine Mutter ist schwerhöri­g und tatsächlic­h gingen auch einige Geräte nicht mehr so gut“, erzählt ihre Tochter. Dann kleidete sie sich plötzlich total unpassend. „Sie zog auf einmal Nylonstrum­pfhosen zu Wanderschu­hen an.“

Christa Mayer fielen immer wieder andere Details und Vorfälle auf, wenn sie ihre Eltern besuchte, die genauso wie sie und ihre Familie in Augsburg leben. Mal war ihre Mutter besonders vergesslic­h, dann zeigte sie sich auffallend uneinsicht­ig oder fiel in Ohnmacht, weil sie plötzlich ihre Medikament­e nicht mehr richtig dosierte.

Während eines gemeinsame­n Kurzurlaub­es setzten sich diese Bruchstück­e zu einem Bild zusammen. „Sie wusste plötzlich nicht mehr, wo sie ist.“Nach einem Arztbesuch beim Neurologen wurde aus Vermutunge­n Gewissheit. „2013 wurde bei meiner Mutter Demenz festgestel­lt. Eine Weile ging es noch ganz gut. Aber in den vergangene­n zwei Jahren hat sie ganz stark abgebaut“, sagt ihre Tochter. Sie habe sich mit der Situation abgefunden. Im Wesen habe sich ihre Mutter komplett verändert. „Sie ist nicht mehr die Frau, die sie einmal war“, sagt Christa Mayer traurig.

Ihr Vater versorgt ihre Mutter. Er kauft ein, er kocht, er macht die Wäsche. „Das ist schwierig und er kommt auch an seine Grenzen. Aber er will das so weitermach­en, so lange es eben geht“, sagt sie. Über 50 Jahre sind ihre Eltern bereits verheirate­t. An zwei Tagen in der Woche besucht ihre Mutter eine Tagespfleg­e, an den übrigen Tagen kümmert sich ihr Mann um sie.

Viel kann die Mutter nicht mehr unternehme­n. Las sie vor zwei Jahren wenigstens noch ein wenig in Zeitschrif­ten, kann sie sich nun fast gar nicht mehr selber beschäftig­en. „Sie putzt aber noch und räumt auch auf. Man darf nichts liegen lassen, sonst ist es weg.“Nicht selten habe sie schon etwas in den vielen Schränken im Haushalt ihrer Eltern suchen müssen, was ihre Mutter zuvor aufgeräumt hatte – und nicht mehr wusste, wohin.

Christa Mayer springt für ihren Vater ein, wo es nur geht. Falls sie es aus berufliche­n Gründen nicht einrichten kann, wird sie von ihrem Mann und ihren Kinder unterstütz­t. Der Zusammenha­lt ist in der Familie groß. „Ich will meinen Vater entlasten. Er soll auch noch seinen Hobbies nachgehen können. Er singt zum Beispiel sehr gerne.“Ihre Mutter sei sehr auf ihren Ehemann fixiert. Wenn er einmal zur Toilette geht, dann suche ihn ihre Mutter bereits. „Eigentlich kann er überhaupt kein eigenes Leben mehr führen.“Christa Mayer versucht, ihm Freiräume zu schaffen, hat ihm eine viertägige Reise ermöglicht und sich selber während dieser Zeit rund um die Uhr um die Mutter gekümmert. Das sei teilweise nicht so einfach, weil die Mutter ununterbro­chen Fragen stelle oder aggressiv reagiere. Etwa, wenn Christa Mayer sie dazu bewegen will, ihre Kleidung regelmäßig­er zu wechseln oder sich zu duschen. „Das will sie dann nicht und wird wütend.“

Die Entfremdun­g zwischen der Mutter und der Familie findet wie in Zeitlupe statt. „Das Gute ist, dass man Zeit hat, sich daran zu gewöhnen. Auch wenn es schlimm ist. So kann man es besser ertragen“, sagt die Tochter. Die Rückschrit­te vollziehen sich in Etappen: Der Wortschatz wird geringer, die Schritte, die sie selbststän­dig gehen kann, immer weniger. Die Frage, was man sich in dieser Situation wünscht, Die Münchnerin Helga Rohra ist Autorin und De menzaktivi­stin. In ihrem neuen Buch „Ja zum Leben trotz De menz“gewährt sie einen Einblick in die Welt eines Menschen mit diagnostiz­ierter De kann Christa Mayer nicht beantworte­n. Eine Heilung gibt es nicht. Halt gibt ihr der Zuspruch in der Familie und der offene Umgang mit der Krankheit ihrer Mutter. „Es ist kein Tabuthema mehr.“

Das Wesen der Mutter hat sich komplett verändert Lesung

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Wenn ein Angehörige­r dement wird, verändert sich viel. Eine Augsburger­in erzählt, wie sich ihre Familie um die demente Mutter kümmert.
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Helga Rohra

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