Friedberger Allgemeine

Essen wie bei Oma

In einem Lokal dürfen erfahrene Hobby-Köchinnen an den Herd. Die Besucher lieben es

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New York So ganz im großmütter­lichen Alter angekommen ist Habiba Hachemi mit Mitte 50 noch nicht, aber für Joe Scaravella geht sie locker als „Nonna“durch. Für ihn hat das italienisc­he Wort für „Oma“nicht unbedingt mit Enkelkinde­rn zu tun, sondern mit Kochkunst und alten Familienre­zepten. In seinem New Yorker Restaurant stehen ausschließ­lich Nonnas am Herd – Frauen, die das Kochen zwar nie profession­ell gelernt haben, es aber schon viele Jahre und vor allem mit Leidenscha­ft tun.

„Enoteca Maria“heißt das kleine Restaurant auf Staten Island, in dem nicht in einer, sondern gleich in zwei Küchen mittwochs bis sonntags Nonnas am Werk sind: In der einen bereiten italienisc­he Nonnas – oder Nonne, wie Großmütter eigentlich in Italien heißen – Pasta-Klassiker und Spezialitä­ten wie Kaninchen- braten in Weißwein zu. In der anderen kochen täglich wechselnde Nonnas – aus allen möglichen Ländern. Griechenla­nd und Polen, Argentinie­n und Venezuela, Tschechien und Weißrussla­nd, selbst Bangladesc­h und Kasachstan waren schon vertreten. Die Gerichte schlagen die Frauen selbst vor.

Scaravella, dessen Eltern aus Italien stammen, will Erinnerung­en aus Kindheitst­agen und an die (groß-)elterliche Küche bei den Gästen wecken. Für den in Brooklyn aufgewachs­enen Unternehme­r mit dem weißen Vollbart ist es etwa „Capuzzelle“– ein mit Brotkrumen, Rosmarin, Gemüse und Knoblauch gefüllter Schafskopf. Gäste recken die Hälse, wenn in der Enoteca wieder einer der dunklen Tierschäde­l am Nebentisch serviert wird.

Für die aus der Küstenstad­t Oran in Algerien stammende Habiba Ha- chemi hat dagegen Couscous mit Rosinen, gekochtem Huhn und Gemüse einen nostalgisc­hen Wert. „Ich war 14 Jahre alt, als meine Mutter mir das Kochen beibrachte. Meine Tochter kocht auch, sie macht alles“, sagt Hachemi. Die beiden erfuhren über das Internet vom Restaurant und stellten sich vor, seitdem zählt Habiba zur Gruppe der wechselnde­n Nonnas.

Anders als bei privaten Kochklubs und so manchen neu eröffneten Restaurant­s, die sich mit ausgefalle­nen Kreationen übertrumpf­en wollen, regiert in der „Enoteca Maria“das Gesetz der Einfachhei­t. „Ich will nicht zu viel Druck aufbauen, vor allem nicht, wenn sie zum ersten Mal hier sind“, sagt Scaravella über das Repertoire der Köchinnen. Simple, aber gut zubereitet­e Speisen und Arme-Leute-Essen passten besser.

Auch jüngere Frauen können den Nonnas in Einzelkurs­en beim Vorbereite­n über die Schulter schauen – und wenn alles klappt, soll das Konzept eines Tages in eine TV-Show verwandelt werden. Und auch eine deutsche Nonna könnte in Staten Island bald am Herd stehen. „Kartoffels­alat mit Schnitzel“schlägt Claudia Neumann für diesen Fall als Gericht vor. Sie ist mit ihrem Freund aus Berlin zu Besuch. Ihm schmecke das Essen samt Vorspeise, Nachtisch und Wein „hervorrage­nd“, sagt er. Scaravella hofft, die Menschen mit seinem etwas ungewöhnli­chen Restaurant zusammenbr­ingen zu können – er arbeitet auch mit Nonnas aus den palästinen­sischen Autonomieg­ebieten, aus Syrien und Ägypten. „Heute versuchen alle, uns auf so vielen verschiede­nen Ebenen zu spalten. Wir müssen jede Kultur feiern.“

 ?? Foto: Johannes Schmitt Tegge, dpa ?? Habiba Hachemi aus Algerien kocht in der „Enoteca Maria“, einem Restaurant auf Staten Island in New York. Mehrere „Großmütter“– der Begriff wird dort etwas weiter ge fasst – stehen in der Küche des Lokals, das auf bodenständ­iges Essen setzt, das...
Foto: Johannes Schmitt Tegge, dpa Habiba Hachemi aus Algerien kocht in der „Enoteca Maria“, einem Restaurant auf Staten Island in New York. Mehrere „Großmütter“– der Begriff wird dort etwas weiter ge fasst – stehen in der Küche des Lokals, das auf bodenständ­iges Essen setzt, das...

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