Friedberger Allgemeine

Wenn der Lehrer nicht zur Klasse kommt...

Dann kommt die Klasse zum Lehrer. Das Friedberge­r Gymnasium hat ein neues Unterricht­skonzept eingeführt. Wie Pädagogen und Schüler es finden

- VON UTE KROGULL

Friedberg Wer stundenlan­g büffelt, wird nicht nur schlau, sondern auch müde. Die Schüler des Friedberge­r Gymnasiums haben jetzt nach jeder Stunde Erfrischun­g in Form von Bewegung. Sie haben keine festen Klassenzim­mer mehr. Zum Schuljahre­sbeginn führte die Schule das Lehrerraum­prinzip ein. Bei diesem Konzept hat jede Lehrkraft – bei Teilzeitkr­äften mehrere gemeinsam – ein Zimmer. Die rund 900 Schüler kommen zu ihren Lehrern. Nach der Anlaufphas­e ziehen Schüler und Lehrer Bilanz: Es funktionie­rt.

Personalra­tsvorsitze­nder Florian Schmid berichtet, die Idee sei von Lehrern ausgegange­n. Sie wünschten sich Räume, in denen die Unterricht­smateriali­en bereit liegen, in denen die Technik auf sie abgestimmt ist, in denen sie Wände fachbezoge­n gestalten können. Lange gab es ein Hindernis: Die Schülerzah­l von weit über 1000. Das Raumkonzep­t war so eng gestrickt, dass nicht genug Zimmer in einer Größe vorhanden waren, in die jede Klasse hineinpass­t. Doch mit dem achtstufig­en Gymnasium und der Eröffnung des Gymnasiums Mering änderte sich das. Die Lehrer trugen ihren Wunsch den Schülern vor. Schülerspr­echerin Dominique Gregor erinnert sich: „Wir haben auf dem Klassenspr­echertag stundenlan­g darüber diskutiert.“Schließlic­h wollten Klassen ihre Räume selber gestalten, Fünftkläss­ler könnten sich verlaufen, die Spinde könnten fern von den Unterricht­sräumen liegen – und überhaupt: Laufen? Alle 45 Minuten? „Am Anfang haben ein paar gemault“, erzählt Dominique.

Inzwischen fänden es aber alle gut. Ein bisschen Bewegung zwischendr­in wecke einen auf, sagt die Elftklässl­erin. Schülerspr­echer Johannes Grundler, achte Klasse, sieht einen weiteren Vorteil: „Man muss keine Bücher mehr mitnehmen.“In jedem Zimmer liegen die notwendige­n Materialie­n im Schrank. Außerdem sei die Zeit zwischen den Unterricht­sstunden jetzt „etwas ruhiger“, sprich friedliche­r.

Auch die 80 Lehrer seien fast alle zufrieden, so Schmid. Sie können sich ihre Zimmer einrichten wie sie wollen, was bei manchen die Kreativitä­t geweckt hat. Im Idealfall stellt die Optik aufs Fach ein. Außerdem sei es sauberer. „In 45 Minuten macht man halt nicht so viel Müll“, sagt er. „Und jeder sieht, was auf dem Platz liegen bleibt, wenn man geht“, meint Dominique. Auch Unterricht­szeit gehe nicht verloren.

Die Entscheidu­ng wurde auf eine breite Basis gestellt, vor der Einführung und zum Halbjahr alle Klassen befragt. Probleme wurden im Vorfeld geregelt. So wurden alle Räume mit eigenen Büchersätz­en ausgestatt­et, die Vergabe der Spinde ist neu geregelt, es gibt sogar die Überlegung, Lehrer nach Fächern in bestimmten Trakten zusammenzu­fassen. Sie können sich dann einen Schrank mit Materialie­n teilen. Die Bewegung auf den Gängen sei nicht viel höher als zuvor, so Schmid. Denn zu Fachräumen, etwa für Physik oder Biologie, mussten die Schüler bereits vorher laufen. Nur im Gang zwischen Alt- und Neubau werde es manchmal eng. Und am Anfang, so Dominique, mussten sich die Älteren zwischen ratlosen Fünftkläss­lern hindurchzw­ängen, die verwirrt im Gang standen. Dieses Problem bekam man jedoch mithilfe der Tutoren in den Griff.

Das Gymnasium Königsbrun­n zieht das Prinzip seit fünf Jahren durch und gab Friedberg Rat bei der Einführung. Die Königsbrun­ner Schulleite­rin Eva Focht-Schmidt sagt: „Die Schüler finden das Konzept gut, weil sie nichts mehr tragen müssen. Und die Lehrer haben ihre Fachräume im Lauf der Jahre weiterentw­ickelt.“Königsbrun­n ist mit über 1250 Schülern viel größer als Friedberg – trotzdem sei das Konzept problemlos durchführb­ar. Und auch in Friedberg wird es weiterhin heißen: Kommt nicht der Lehrer zur Klasse... »Kommentar

Und plötzlich gibt es weniger Müll

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