Mit der Vergangenheit auf Augenhöhe
Auch Bürger können jetzt kleine Denkmäler für Opfer des Nationalsozialismus in ihrer Straße stiften
Sie sind aus Messing, 20 Zentimeter hoch und werden die Namen während der NS-Zeit ermordeter Augsburger tragen. An Laternenpfählen oder anderen Masten erinnern sie auf Augenhöhe an jene Juden, Roma, Sinti, Jenische, Kranke und „Asoziale“, die die Nationalsozialisten aus Augsburg deportierten und töteten. Die Erinnerungswerkstatt wünscht sich jetzt Stifter, die in ihrer Straße einem von dort verschleppten Menschen gedenken und mit einem „Erinnerungsband“einen sichtbares Zeichen stiften. Erinnerungsbänder werden angebracht, wo die Menschen zuletzt freiwillig gewohnt haben. So stellen sie die Bezüge zum Leben her, nicht nur zu ihrem Schicksal als Opfer. In diesem Frühjahr soll das erste Band hängen.
Das Design der Tafeln stammt von der Augsburger Agentur Büroecco. Die vier Seiten der MessingManschette sind ineinander verkantet. „In dieser Form spiegeln sich die harten Brüche in den Biografien wider“, erläutert Benigna Schönhagen, Leiterin des Jüdischen Kulturmuseums.
An einer Stiftung interessierte Bürger, aber auch Büro- oder Hausgemeinschaften, Verbände und Unternehmen können sich bei den Verantwortlichen melden. Bisher haben sich 15 Interessenten bereit erklärt, die Kosten in Höhe von 380 Euro für die Errichtung einer Tafel zu übernehmen. Ob die Ermordeten, denen das Erinnerungsband gewidmet ist, von den Paten neu recherchiert werden oder ob sie auf bereits archivierte Biografien zurückgreifen wollen, sollte im Einzelfall mit der Werkstatt geklärt werden.
Fündig wird man im neuen „Online-Gedenkbuch“, einem langfristigen Projekt der Erinnerungswerkstatt. Hier haben Schüler, Studenten und Einzelautoren inzwischen 54 Schicksale dokumentiert, derer jeweils mit einem Erinnerungsband gedacht werden kann. Das jüdische Kulturmuseum hat zudem die meisten der etwa 450 deportierten und ermordeten Juden der Stadt erfasst. Doch Schönhagen betont: „Wir wollen die Wohnorte von Verstorbenen aller Gruppen ins Gedächtnis rufen, wie zum Beispiel auch die schwer zu recherchierenden Opfer der NS-Gesundheitspolitik.“
Da die Erinnerungsschilder im öffentlichen Raum angebracht werden, waren nicht nur Absprachen mit Vertretern der Juden sowie Sinti und Roma notwendig. Auch das Einverständnis des Stadtrats musste eingeholt werden. Hierfür tat sich die Erinnerungswerkstatt mit den Befürwortern der oft umstrittenen Stolpersteine zusammen. Erst daraufhin beschloss der Stadtrat Mitte Dezember 2016, beide Erinnerungsformen auf öffentlichem Grund zu gestatten – vorausgesetzt, Bedürfnisse von Organisationen wie der Israelitischen Kultusgemeinde oder des neuen Regionalverbandes der Sinti und Roma werden berücksichtigt. Diese Institutionen stehen Stolpersteinen, die in Fußwegen verlegt werden, kritisch gegenüber, akzeptieren jedoch die neuen Augsburger Erinnerungsbänder.
Da aus juristischen Gründen im Vorfeld auch lebende Angehörige recherchiert werden müssen und ihr Einverständnis eingeholt werden muss, beschloss der Stadtrat, im Kulturamt eine halbe Stelle für die Koordination dieser Prozesse für Stolpersteine und Erinnerungsbänder einzurichten. Laut Kulturamtsleiterin Elke Seidel ist das Bewerbungsverfahren bereits abgeschlossen. Die Entscheidung steht aus.
Workshop Der vierte Workshop der Erinnerungswerkstatt zum Recherchie ren von Lebensläufen von Opfern des Na tionalsozialismus findet am heutigen Mittwoch, 29. März, von 19 bis 21 Uhr im evangelischen Forum Annahof statt. Thema ist die Recherche zu Sinti, Roma, Jenischen, geleitet wird der Workshop von der Journalistin Angela Bachmair.