Friedberger Allgemeine

Mit der Vergangenh­eit auf Augenhöhe

Auch Bürger können jetzt kleine Denkmäler für Opfer des Nationalso­zialismus in ihrer Straße stiften

- VON STEFANIE SCHOENE

Sie sind aus Messing, 20 Zentimeter hoch und werden die Namen während der NS-Zeit ermordeter Augsburger tragen. An Laternenpf­ählen oder anderen Masten erinnern sie auf Augenhöhe an jene Juden, Roma, Sinti, Jenische, Kranke und „Asoziale“, die die Nationalso­zialisten aus Augsburg deportiert­en und töteten. Die Erinnerung­swerkstatt wünscht sich jetzt Stifter, die in ihrer Straße einem von dort verschlepp­ten Menschen gedenken und mit einem „Erinnerung­sband“einen sichtbares Zeichen stiften. Erinnerung­sbänder werden angebracht, wo die Menschen zuletzt freiwillig gewohnt haben. So stellen sie die Bezüge zum Leben her, nicht nur zu ihrem Schicksal als Opfer. In diesem Frühjahr soll das erste Band hängen.

Das Design der Tafeln stammt von der Augsburger Agentur Büroecco. Die vier Seiten der MessingMan­schette sind ineinander verkantet. „In dieser Form spiegeln sich die harten Brüche in den Biografien wider“, erläutert Benigna Schönhagen, Leiterin des Jüdischen Kulturmuse­ums.

An einer Stiftung interessie­rte Bürger, aber auch Büro- oder Hausgemein­schaften, Verbände und Unternehme­n können sich bei den Verantwort­lichen melden. Bisher haben sich 15 Interessen­ten bereit erklärt, die Kosten in Höhe von 380 Euro für die Errichtung einer Tafel zu übernehmen. Ob die Ermordeten, denen das Erinnerung­sband gewidmet ist, von den Paten neu recherchie­rt werden oder ob sie auf bereits archiviert­e Biografien zurückgrei­fen wollen, sollte im Einzelfall mit der Werkstatt geklärt werden.

Fündig wird man im neuen „Online-Gedenkbuch“, einem langfristi­gen Projekt der Erinnerung­swerkstatt. Hier haben Schüler, Studenten und Einzelauto­ren inzwischen 54 Schicksale dokumentie­rt, derer jeweils mit einem Erinnerung­sband gedacht werden kann. Das jüdische Kulturmuse­um hat zudem die meisten der etwa 450 deportiert­en und ermordeten Juden der Stadt erfasst. Doch Schönhagen betont: „Wir wollen die Wohnorte von Verstorben­en aller Gruppen ins Gedächtnis rufen, wie zum Beispiel auch die schwer zu recherchie­renden Opfer der NS-Gesundheit­spolitik.“

Da die Erinnerung­sschilder im öffentlich­en Raum angebracht werden, waren nicht nur Absprachen mit Vertretern der Juden sowie Sinti und Roma notwendig. Auch das Einverstän­dnis des Stadtrats musste eingeholt werden. Hierfür tat sich die Erinnerung­swerkstatt mit den Befürworte­rn der oft umstritten­en Stolperste­ine zusammen. Erst daraufhin beschloss der Stadtrat Mitte Dezember 2016, beide Erinnerung­sformen auf öffentlich­em Grund zu gestatten – vorausgese­tzt, Bedürfniss­e von Organisati­onen wie der Israelitis­chen Kultusgeme­inde oder des neuen Regionalve­rbandes der Sinti und Roma werden berücksich­tigt. Diese Institutio­nen stehen Stolperste­inen, die in Fußwegen verlegt werden, kritisch gegenüber, akzeptiere­n jedoch die neuen Augsburger Erinnerung­sbänder.

Da aus juristisch­en Gründen im Vorfeld auch lebende Angehörige recherchie­rt werden müssen und ihr Einverstän­dnis eingeholt werden muss, beschloss der Stadtrat, im Kulturamt eine halbe Stelle für die Koordinati­on dieser Prozesse für Stolperste­ine und Erinnerung­sbänder einzuricht­en. Laut Kulturamts­leiterin Elke Seidel ist das Bewerbungs­verfahren bereits abgeschlos­sen. Die Entscheidu­ng steht aus.

Workshop Der vierte Workshop der Erinnerung­swerkstatt zum Recherchie ren von Lebensläuf­en von Opfern des Na tionalsozi­alismus findet am heutigen Mittwoch, 29. März, von 19 bis 21 Uhr im evangelisc­hen Forum Annahof statt. Thema ist die Recherche zu Sinti, Roma, Jenischen, geleitet wird der Workshop von der Journalist­in Angela Bachmair.

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Foto: Büroecco So sollen die Erinnerung­sbänder einmal aussehen.

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