Friedberger Allgemeine

„Macht macht süchtig“

Der Historiker und Biograf Gregor Schöllgen weiß, warum Bundeskanz­ler nicht loslassen wollen, obwohl sie ihren Zenit bereits überschrit­ten haben. Er sagt auch, was Angela Merkel jetzt als Erste anders und besser machen könnte

- Archivfoto­s: dpa

Herr Schöllgen, Angela Merkel kandidiert für eine vierte Amtszeit, womit sie mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl gleichzieh­en würde. Diese allerdings hatten zu diesem Zeitpunkt ihren Zenit längst überschrit­ten, sie verloren viel von ihrem Ansehen. Wie groß ist die Gefahr, dass dies auch bei Merkel der Fall ist? Gregor Schöllgen: Die Gefahr besteht grundsätzl­ich immer, wenn man – wie Konrad Adenauer oder Helmut Kohl – den Zenit der Macht überschrit­ten hat. Es gibt gute Gründe, warum andere westliche Demokratie­n wie die USA oder Frankreich die Amtszeit ihrer Präsidente­n auf zwei Perioden beschränke­n. Das macht Sinn. Alles, was darüber hinausgeht, führt zu Routine und zu Ermüdungse­rscheinung­en – und am Ende zu dem Gefühl, unentbehrl­ich zu sein.

Sollte die Amtszeit auf zwei Wahlperiod­en beschränke­n werden?

Schöllgen: Unbedingt.

Ein oft gehörtes Argument für eine erneute Kandidatur ist, dass man mitten im Fluss die Pferde nicht wechsle. Aber Politik ist immer mitten im Fluss – so gesehen dürfte es nie einen Machtwechs­el geben?

Schöllgen: Genau. Politik ist immer im Fluss. Und wenn man in die Amtszeiten der Bundeskanz­ler blickt, hat es am Ende stets schwerwieg­ende Fragen gegeben, die noch zur Klärung anstanden, oder Krisen, die zu bewältigen waren.

Kein amtierende­r Regierungs­chef hat es bislang geschafft, ohne Verlust der Reputation aus dem Amt zu scheiden. Warum ist das so?

Schöllgen: Das hat vor allem damit zu tun, dass sich alle Amtsinhabe­r ab einem bestimmten Zeitpunkt für schwer ersetzbar halten. Man darf nicht vergessen, dass die Apparate um die Kanzler herum den jeweiligen Inhaber der Macht darin bestärken, der einzig Richtige für dieses Amt zu sein. Je länger ein Kanzler amtiert, umso weniger bekommt er – oder sie – aus dem Umfeld schlechte Nachrichte­n. Und dann gilt natürlich auch für einen Kanzler und eine Kanzlerin: Macht macht süchtig.

Sie haben sich eingehend mit den Kanzlern dieser Republik beschäftig­t. Haben Sie bei diesen in der Tat den Suchtchara­kter der Macht festgestel­lt?

Schöllgen: Ja, das ist definitiv so. Das ist für sich genommen auch nicht schlimm oder verwerflic­h. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er Positionen, um die er viele Jahre gekämpft hat, nicht ohne Weiteres auf- geben oder verlieren will. Außerdem bringt das Amt nicht nur eine Fülle von Herausford­erungen und Schwierigk­eiten mit sich, sondern auch Annehmlich­keiten. Man ist wichtig, man ist gefragt. Im In- und im Ausland, wo ständig der rote Teppich ausgerollt wird. Solche kleineren und größeren Privilegie­n stehen einem Altkanzler nicht mehr zu. Das weiß man als Amtsinhabe­r.

Sind alle Kanzler nach ihrem Ausscheide­n in ein tiefes schwarzes Loch gestürzt?

Schöllgen: Ja, ohne Ausnahme. Und weil sie wussten, dass ihnen dieses tiefe schwarze Loch bevorsteht, haben sie alles getan, um ihm möglichst lange fernzublei­ben. Mit der Folge, dass sie sich umso stärker an das Amt geklammert haben, je länger sie es innehatten. Allen Kanzlern ist gemein, dass sie es während ihrer Amtszeit unterließe­n, Nachfolger aufzubauen. Konrad Adenauer bekämpfte bis zum Schluss Ludwig Erhard, Helmut Kohl verhindert­e durch sein Klammern ans Amt Wolfgang Schäuble und auch bei Angela Merkel ist kein wirklicher Kronprinz in Sicht. Woher kommt das – ist das die Angst vor dem Verlust der Autorität und vor dem „Putsch“? Schöllgen: Sicher spielt die Sorge eine Rolle, dass ein Nachfolger, den man aufbaut, eines Tages so stark werden könnte, dass man ihm bei nachlassen­der Kraft nicht mehr gewachsen ist. Das ist eine instinktiv­e Angst, die nicht nur in der Politik zu beobachten ist. Vor allem aber waren alle Kanzler überzeugt, dass unter den jeweils obwaltende­n Umständen eigentlich niemand in der Lage ist, es ihm gleichzutu­n. Die CDU steht bis zuletzt in Treue fest zu ihren Kanzlern, die SPD demontiert sie nach einiger Zeit. Schöllgen: Die CDU ist mit der Bundesrepu­blik Deutschlan­d entstanden und verstand sich von Anfang an als die geborene Staatspart­ei. Die SPD war schon bei ihrer Gründung 1875 eine Opposition­spartei. Diese Attitüde hat sie nie wirklich abgelegt. Hier gründet ihr tiefes Misstrauen gegenüber der Macht – und ihrem Missbrauch.

Und auch gegenüber dem Inhaber der Macht?

Schöllgen: Ja, sicher. Im Augenblick sieht es zwar so aus, als wolle die SPD wieder den Kanzler stellen. Man muss aber keine prophetisc­hen Gaben besitzen, um vorherzusa­gen, dass es in diesem, wenn auch nicht sehr wahrschein­lichen, Fall eine Frage der Zeit ist, bis Teile der SPD wieder daran arbeiten werden, ihrem Kanzler das Leben schwer zu machen.

Wenn Sie Berater von Angela Merkel wären, was würden Sie ihr raten? Soll sie im Wahlkampf ein Ende ihrer Amtszeit ankündigen – oder es so machen wie Sigmar Gabriel: zurücktret­en und Nachfolger präsentier­en?

Schöllgen: Mit einem angekündig­ten vorzeitige­n Ende kann man keinen Wahlkampf führen. Das funktionie­rt jedenfalls in Deutschlan­d nicht. Aber wenn ich die Bundeskanz­lerin wäre, würde ich mir spätestens nach der gewonnenen Wahl sofort überlegen, wann ich dieses Amt während der laufenden Legislatur­periode einem Nachfolger oder einer Nachfolger­in übergebe.

Wen hätten Sie im Blick?

Schöllgen: Als Nachfolger? Schwer zu sagen. Bislang hat Merkel niemandem in der Union eine Chance

„Nach der Wahl einen Nachfolger aufzubauen, wird für die Kanzlerin die große Herausford­erung sein.“

Gregor Schöllgen

gegeben, sich als potenziell­er Nachfolger zu profiliere­n. Einen solchen nach der Wahl aufzubauen, wird für die Kanzlerin die große Herausford­erung sein. Wenn ihr das gelänge, wenn Angela Merkel als Erste in der laufenden Legislatur­periode ohne Not zurückträt­e, wäre das die Krönung hoch entwickelt­er Machtpolit­ik.

Gregor Schöllgen, 1952 in Düssel dorf geboren, ist seit 1985 Professor für Neuere Geschichte an der Universitä­t Erlangen und gilt als einer der renom miertesten Experten der deutschen Ge schichte des 19. und 20. Jahrhunder­ts. Von ihm erschienen unter anderem Bio grafien über die Bundeskanz­ler Willy Brandt (aktualisie­rt 2013) und zuletzt über Gerhard Schrö der (2015). Zu dem hat er sich mit der Geschichte bedeutende­r fränki scher Unterneh men befasst und Monografie­n über die vier Familien Diehl, Brose, Schöller und Schickedan­z geschriebe­n. Zurzeit arbeitet der Histori ker an einem Buch zur Geschichte des 20. Jahrhunder­ts. Seit 1982 ist er auch für die historisch­e Ausbildung der Attachés im Auswärtige­n Amt zuständig.

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Angela Merkel (Bundeskanz­lerin seit 2005) in ihrem Arbeits zimmer vor Oskar Kokoschkas Porträt von Konrad Adenauer (Bundeskanz­ler 1949 bis 1963).
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Gerhard Schröder (Bundeskanz­ler von 1998 bis 2005), so wie ihn der Düsseldorf­er Bildhauer und Maler Jörg Immendorff 2007 gesehen hat.
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Helmut Kohl (Bundeskanz­ler 1982 bis 1998) wurde vom Berli ner Albrecht Gehse für die Galerie im Kanzleramt gemalt.
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