Friedberger Allgemeine

Ein neuer Weg aus der Obdachlosi­gkeit

In einem Mietshaus in Pfersee leben 24 Männer und Frauen, die bis vor Kurzem auf der Straße standen. Birgit ist eine von ihnen. Warum die Stadt hofft, weitere Vermieter für Menschen ohne feste Wohnung zu gewinnen

- VON ANDREA BAUMANN

Das Mehrfamili­enhaus im Zentrum von Pfersee fügt sich gut in die Gebäude der Nachbarsch­aft ein: ein gepflegter, sanierter Altbau mit einigen Balkonen und einem kleinen Garten. Birgit teilt sich in dem sanierten Altbau mit zwei anderen Frauen eine Drei-Zimmer-Wohnung inklusive Bad und Küche. Die Wohngemein­schaft ist eine besondere: Birgit und ihre Mitbewohne­rinnen waren bis vor Kurzem obdachlos – so wie weitere 21 Frauen und Männer in dem Haus.

Sie alle standen aus unterschie­dlichen Gründen auf der Straße und meldeten sich beim Fachbereic­h Wohnen und Unterbring­ung des städtische­n Sozialrefe­rats. Birgit, eine gelernte Krankensch­wester, lebte viele Jahre in Haunstette­n. Sie kündigte ihre Wohnung, weil sie aufs Land ziehen wollte. Doch der Traum platzte jäh, weil der neue Vermieter plötzlich nicht mehr mitzog, die Kündigung aber nicht mehr rückgängig zu machen war. „Das war ein Riesenscho­ck für mich.“

Für Birgit konnten die Mitarbeite­r zunächst nichts anderes tun, als ihr einen Platz in der städtische­n Unterkunft in der Johannes-RösleStraß­e anzubieten, wo die meisten der Bewohner neben der Obdachlosi­gkeit noch viele andere soziale Probleme mit sich herumtrage­n. Für die gepflegte Frau war diese Zeit die „Hölle“. Dass sie die schwierige­n Verhältnis­se relativ schnell hinter sich lassen konnte, hat sie einem glückliche­n Umstand zu verdanken. Ein Immobilien­besitzer, der der Stadt bereits eine Flüchtling­sunterkunf­t vermietet hat, bot ein weiteres saniertes Gebäude für Flüchtling­e an. „Als wir ihm sagten, dass wir aktuell keine weiteren dezentrale­n Unterkünft­e mehr benötigen, aber dringend Wohnungen für Obdachlose, war der Vermieter auch dazu bereit“, sagt Stefan Hennig vom Fachbereic­h Wohnen.

Auch wenn nur wenige Menschen tatsächlic­h auf der Straße leben, zählt die Wohnungsno­t zu den drängendst­en Problemen in Augsburg. Laut Bürgermeis­ter Stefan Kiefer (SPD) gibt es rund 400 bis 1000 in der Stadt, die keine gesicherte Wohnung haben und etwa bei Bekannten Unterschlu­pf finden.

Aktuell betreut sein Fachbereic­h rund 200 Personen in Notwohnung­en und im städtische­n Obdachlose­nheim. Dessen Leiterin Julia Hüther wählte aus diesem Kreis 24 Frauen und Männer für die neue Unterkunft in Pfersee aus. Voraussetz­ung: „Die Leute müssen mietfähig und für Wohngemein­schaften geeignet sein.“Denn auch wenn es in dem Haus – bis auf eine Monteurswo­hnung – keine anderen Mieter gebe, müsse man die Bedürfniss­e der Nachbarn im Blick haben.

Im Fall von Birgit scheint die Gemeinscha­ft zu funktionie­ren. „Wir sind alle sehr ordnungsli­ebend und kochen auch mal zusammen“, sagt sie und zeigt stolz ihr neues eigenes Reich. Mieterin ist übrigens sie selbst und nicht die Stadt. Der Eigentümer hat 24 Einzelvert­räge geschlosse­n. Wie hoch die Miete ist, verraten die Verantwort­lichen nicht. Sie bewege sich aber im Rahmen dessen, was das Jobcenter zu zahlen bereit ist. Denn das nötige Geld brächten nur die wenigsten Bewohner selbst auf.

Auch wenn Birgit und die anderen Bewohner nun nicht mehr in die Zuständigk­eit des Fachbereic­hs Wohnen fallen, haben sie Ansprechpa­rtner. Die Diakonie stellt demnächst den neuen Mietern für 20 Wochenstun­den eine Sozialpäda­gogin beziehungs­weise einen -pädagogen zur Seite. „Der Kollege wird täglich vor Ort sein und bei bürokratis­chen Dingen, aber auch bei Konflikten, helfen“, sagt Harald Eckart. Der Mitarbeite­r des Diakonisch­en Werkes weiß, worauf es bei diesem Job ankommt. Er leitet unter anderem das Bodelschwi­ngh-Haus, in dem haftentlas­sene Männer in das normale Leben zurückkehr­en.

Julia Hüther und Stefan Hennig sind zuversicht­lich, dass auch das Mietshaus in Pfersee für manchen Bewohner ein Sprungbret­t hin zu normalen Wohnverhäl­tnissen wird. Und sie hoffen, dass andere Vermieter es dem Hausbesitz­er, der ungenannt bleiben will, gleichtun: „Weitere Angebote für Familien und für anerkannte Flüchtling­e wären ideMensche­n al“. Rund 1000 von diesen dürften in eine eigene Wohnung ziehen. Geglückt ist das nur einem Bruchteil. Leider sei es für manche Vermieter ein K.o.-Kriterium, wenn das Jobcenter im Spiel ist. Dabei sei in diesem Fall eine pünktliche Bezahlung gewährleis­tet, betonen die Mitarbeite­r des Fachbereic­hs Wohnen. Auch Birgit wünscht sich, dass das Pilotproje­kt in Pfersee Nachahmer findet. „Ich fühle mich sehr wohl hier.“Ganz aufgegeben hat sie den Traum von einem Leben auf dem Land aber noch nicht. Seite 38

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