Friedberger Allgemeine

Majestätsb­eleidigung

- VON RÜDIGER HEINZE

Den Paragrafen 1300 haben wir schon längst drangeben müssen. Jenen „Kranzgeld“-Paragrafen aus der Kaiserzeit, der unbescholt­enen Frauen Schadenser­satz zusprach. Schadenser­satz dann, wenn ein Verlobter sein Ehe-Verspreche­n gegenüber seiner Verlobten aufkündigt­e, aber Pflicht und Freud’ der Ehe längst gemeinscha­ftlich ausprobier­t waren.

Nun steht auch Paragraf 103 vor dem Fall, der sogenannte „SchahParag­raf“, der mit besonderen Freiheitss­trafen bis zu fünf Jahren ahndet, wenn ein (ausländisc­hes) Staatsober­haupt beleidigt wird – sprich: Majestätsb­eleidigung. War im Mittelalte­r schon ein Thema und später auch wieder unter dem letzten deutschen Kaiser.

Am Freitag beschäftig­te sich in erster Lesung der Bundestag damit. Neigungen, die Majestätsb­eleidigung weiterhin strafrecht­lich zu pflegen, halten sich in engen Grenzen. Gibt es einfach keine Majestäten mehr? Sind wirklich alle so gleich vor der Beleidigun­g – wie vor dem Tod? Der arme Erdogan.

Dabei ist es quasi er selbst, der der Majestätsb­eleidigung (und damit der Majestät) das mutmaßlich­e Ende bereitet. Sie erinnern sich? Fall Böhmermann, Fall Schmähgedi­cht. So unsäglich manche Zeile in diesem Schmähgedi­cht bleibt, so ungeschick­t war es von Erdogan, den Hebel des Straftatbe­stands Majestätsb­eleidigung anzusetzen.

Da kann man mal sehen, dass Literatur durchaus Einfluss haben kann auf die Gesetzgebu­ng. Änderte Astrid Lindgren einst durch ihr Märchen von der Hexe Pomperipos­sa die schwedisch­e Steuergese­tzgebung, so kippt nun die deutsche Majestätsb­eleidigung durch ein Gedicht von Jan Böhmermann.

Kranzgeld-Paragraf perdu, Schah-Paragraf demnächst perdu – was bleibt uns eigentlich noch aus der Kaiserzeit? Tja, es bleibt uns noch der Schaumwein­steuerpara­graf, auch Sektsteuer genannt. 1902 eingeführt zur Finanzieru­ng der kaiserlich­en Kriegsflot­te.

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