Weil Schmerzen einsam machen
Klinikum In Augsburg leistet das erste bayerische Kinderschmerzzentrum Pionierarbeit. Schon 61 junge Patienten konnte das Team um Rosemarie Ahnert erfolgreich behandeln
Augsburg Gestern wurde das Bayerische Kinderschmerzzentrum des Klinikums Augsburg mit Ärzten und Pflegerinnen, mit Gästen aus Politik und Gesellschaft, mit den Sponsoren der Vereine Sternstunden und Glühwürmchen sowie mit Patienten feierlich eingeweiht.
Auch Keri ist mit ihren Eltern aus Nürnberg angereist. Wie alle der bisher behandelten 61 Kinder blickt sie auf eine lange Leidensgeschichte zurück: Mi zwölf Jahren bekam sie chronische Schmerzen, die ihr Leben auf den Kopf stellten: „Ich hatte immer Bauchweh und dachte an nichts anderes mehr. Zur Schule bin ich nur noch manchmal.“Eine ganze Reihe von Ärzten kennt die 13-Jährige inzwischen, wurde von oben bis unten durchleuchtet. „Meistens hieß es: Wird wohl psychosomatisch sein...“, berichtet die Mutter. „Damit war sie gestempelt.“Schließlich stieß die Familie auf einen Schmerztherapeuten, der von dem neuen Zentrum wusste und die Schülerin dorthin überwies. Fünf Wochen ganzheitliche Therapie mit Musik und psychologischer Betreuung haben Keri zurück ins Leben gebracht: „Es geht mir wie- der gut. Ich habe hier gelernt, mich abzulenken, aktiv zu sein, an andere Dinge zu denken.“
„Von der Odyssee durch die Arztpraxen berichten eigentlich alle unsere kleinen Patienten“, sagt Rosemarie Ahnert, Ärztliche Leiterin des Bayerischen Kinderschmerzzentrums. Die chronischen Schmerzen müssten als eigenes Krankheitsbild gesehen werden, eine Krankheit, die wie eine schwarze Wand zwischen ihnen und dem Leben steht. „Für die Jugendlichen ist das Misstrauen von Mitschülern, Ärzten, dem gesamten Umfeld traumatisierend. ,Stell dich nicht so an‘, heißt es dann. Oder: ,Du willst ja nur nicht in die Schule‘. Die Jugendlichen werden ängstlich, ziehen sich total zurück“, so Ahnert. Sie ist Kinder- und Jugendärztin, baute mit Kinderklinik-Chefarzt Michael Frühwald das Zentrum auf und ließ sich ein Jahr zur speziellen Schmerztherapeutin ausbilden. Laut Ahnert ist sie damit eine von nur zehn solcher Spezialisten für Kinder in Deutschland. Auch Therapieplätze sind Mangelware: Etwa 350 000 Kinder und Jugendliche haben chronische Schmerzen, 200 000 von ihnen müssten stationär behandelt werden. Doch gibt es bis jetzt nur fünf Einrichtungen deutschlandweit. Ahnert: „Das Bewusstsein für dieses Krankheitsbild muss sich unbedingt noch schärfen.“
Es ist Pionierarbeit, die Ahnert leistet, denn Leitlinien wie bei vielen anderen Krankheitsbildern gibt es in der Kinderschmerztherapie noch nicht. „Ein wichtiges Ziel ist, dass die Kinder möglichst ohne Medikamente auskommen. Mit Bewältigungstechniken wie Psycho- und Musiktherapie lernen sie, das eingeschleifte Schmerzgedächtnis zu kontrollieren“, so die Ärztin.
Ihre erste Patientin war Theresa. Die 17-Jährige knickte 2013 mit dem Fuß um und lernte ab da, wie sie sagt, alle Orthopäden Augsburgs und Umgebung kennen. „Ich konnte nicht mehr laufen, der Schmerz bestimmte mein Leben. Die Ärzte sagten erst: Abwarten. Dann operierten sie. Erst eine Sehne, dann ein Band, schließlich richteten sie noch die Ferse. Es hörte nicht auf“, berichtet die junge Frau. Sie empfand sich schon selbst als gestört, als Simulantin. Und sie wurde einsam. Im November 2015 brachte ihre Mutter sie für vier Wochen ins gerade eröffnete Kinderschmerzzentrum. Und heute? „Schauen Sie“, sagt die Abiturientin und zeigt auf ihre Schuhe. „Neun Zentimeter. Heute bestimme ich über den Schmerz, nicht er über mich. Ich habe mir die Freiheit zurückerkämpft, auf hohen Absätzen zu laufen!“