Stummer Protest mit dem Bild einer Toten
Eine Mutter erinnert im Gerichtssaal an ihre verstorbene Tochter, die angeblich vergewaltigt wurde. Ein Rollkommando überfiel deshalb einen 41-Jährigen. Der Prozess offenbart Einblicke in die Augsburger Drogenszene
In der ersten Reihe der Zuschauerplätze im Sitzungssaal 174 im Strafjustizzentrum sitzt an diesem Prozesstag eine Besucherin, die ein DIN-A5-großes Foto einer hübschen blonden Frau mit roten Lippen und nachdenklichem Blick vor sich an die Brust hält. Es ist ein Bild ihrer Tochter Lisa (Name geändert). Lisa wurde nur 38 Jahre alt. Sie starb im Sommer 2016 an einer Gehirnhautentzündung.
Im Gerichtssaal nur knapp zwei Meter entfernt sitzt der Mann auf dem Zeugenstuhl, dem der stumme Protest der Mutter gilt. Sie ist überzeugt, dass der 41-Jährige ihre drogenabhängige Tochter sexuell missbraucht hat. An einem Tag im Mai vergangenen Jahres, als sich Lisa in Wohnung einen „Schuss“gesetzt hatte und kurzzeitig bewusstlos geworden war. Die angebliche Vergewaltigung – das Verfahren gegen den 41-Jährigen wurde allerdings eingestellt – war der Startschuss zu einer Racheaktion, die völlig aus dem Ruder lief und die nun drei Männer, darunter auch den Bruder der Verstorbenen, auf die Anklagebank gebracht hat.
Der Prozess vor der 3. Strafkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Roland Christiani offenbart tiefe Einblicke in die Drogenszene am Oberhauser Bahnhof. Momentaufnahmen vom Leben der Rauschgiftund Alkoholabhängigen, in dem nur eine Maxime gilt: an Geld und Stoff zu kommen. Ein Leben, in dem gelogen, gestohlen und betrogen wird. In dem Freundschaft nur etwas gilt, wenn man davon profitiert. An jenem Maitag waren Lisa und ihr Freund, 32, in die Wohnung des 41-jährigen Zeugen gekommen, weil dieser ihr Geld schuldete. „Beide setzten sich einen Schuss, brachen zusammen“, erinnert sich der Zeuge. Er habe Lisa Wasser ins Gesicht geschüttet und ihr „ein paar Watschn“versetzt. Beide seien wieder zu sich gekommen. Es könne sein, so der 41-Jährige, dass er Lisa unabsichtlich beim Aufheben am Busen berührt habe. „Aber vergewaltigt habe ich sie niemals.“
Lisas Freund konnte sich an nichts mehr erinnern. Ein „kompletter Filmriss“, wie er sagt. Doch Lisa erzählte ihm wenig später, der 41-Jährige habe sie in der Wohnung vergewaltigt. So keimte bei ihrem Freund zusammen mit Lisas Bruseiner der, 42, der Plan, dem angeblichen Vergewaltiger eine gehörige Abreibung zu verpassen. Mit von der Partie war auch ein 36-Jähriger aus der Szene. Wie ein Rollkommando schritten Lisa und ihre drei Kumpel zwei Tage später zur Tat. Während die drei Männer vor der Wohnung warteten, habe Lisa, so rekonstruiert Staatsanwältin Birgit Milzarek das Geschehnis, dem 41-Jährigen gedroht: „Pass auf, die drei kommen jetzt eh gleich hoch. Am besten gibst du mir jetzt dein ganzes Geld oder Drogen. Dann kann ich ja sagen, ich habe es nur geträumt, dass du mich vergewaltigt hast.“Als der Bedrohte die Polizei alarmieren wollte, soll Lisa gerufen haben: „Jungs, kommt rein.“
Überfallartig soll es dann zu einem massiven Kampfgeschehen zwischen dem mit einem Messer bewaffneten Zeugen und zwei Angreifern – Lisas Freund und ihr Bruder – gekommen sein. Der 41-Jährige wurde erheblich verletzt. Die Polizei, von Nachbarn alarmiert, stellte später drei blutbefleckte Messer sicher. Lisa und der am Kampf angeblich unbeteiligte 36-Jährige sollen die Situation ausgenutzt und dem Opfer Laptop, Handy und Sonnenbrille gestohlen haben.
Den drei Männern (Verteidiger: Alexandra Gutmeyr, Hermann Kühn und Andreas Boukai) wird schwerer Raub mit gefährlicher Körperverletzung zur Last gelegt, dem 36-Jährigen noch Einbrüche und Diebstähle. Alle drei sind mit zusammen 52 Einträgen im Bundeszentralregister vorbelastet. Das Urteil soll im Mai gesprochen werden.