Friedberger Allgemeine

Wer ist der bessere Franzose?

Am Sonntag wählen die Franzosen ihren Präsidente­n. Emmanuel Macron gilt als Favorit. Und doch tut er sich gegen die Rechtspopu­listin Marine Le Pen schwer. Über verfrühte Siegesfeie­rn, dem Kampf um enttäuscht­e Bürger und die Sorge vor dem Undenkbare­n

- VON BIRGIT HOLZER

Arras/Villepinte Emmanuel Macron braucht ein wenig Zeit, um warm zu werden. Bis aus zurückhalt­enden, ruhigen Worten eine immer lautere Anklage wird, bis er den Gegner beim Namen nennt. „Der Front National ist keine Partei der Patrioten, sondern der Nationalis­ten. Und Nationalis­mus, Protektion­ismus – das ist Krieg!“Hier in Nordfrankr­eich, seiner Heimat, die gezeichnet sei von vielen Kriegen, habe man bitter bezahlt für „Hasstirade­n“gegen andere, ruft der 39-Jährige, der kommenden Sonntag der jüngste Präsident Frankreich­s werden könnte. „Ich will etwas anderes für mein Land, aber nicht das! Nicht das!“

Die Menschen, in der Halle hier in Arras, sind wegen Macron da. 3000 Anhänger, die jubeln, Europaund Frankreich-Fahnen schwenken. Sollte der soziallibe­rale Jungstar aber gedacht haben, der Weg in den Élysée-Palast, vorbei an seiner Konkurrent­in Marine Le Pen, sei nur noch ein Spaziergan­g, hat er sich getäuscht. Allzu triumphier­end hatte er gewirkt, als er in der ersten Runde der Präsidents­chaftswahl mit 24 Prozent vorne gelandet war – ein zugegebene­rmaßen sensatione­lles Ergebnis für jemanden, der vor drei Jahren in Frankreich noch vollkommen unbekannt war und ohne etablierte­n Parteiappa­rat antritt.

Nun, eine Woche später, ist die Jubelstimm­ung verflogen: Umfragen sehen Macron zwar bei 60 Prozent – doch der Vorsprung schwindet. Sein Wahlkampf ist nur schleppend wieder in Gang gekommen. Und der Kandidat der „En marche!“-Bewegung tut sich schwer gegen die Rechtspopu­listin, die im Wahlkampf-Finale auf volle Attacke setzt. Bei vielen Franzosen wächst die Sorge, dass das Undenkbare Wirklichke­it werden könnte: Dass eine Rechtspopu­listin an der Spitze Frankreich­s stehen könnte.

Wenn es nach Pedro, Nastasja Dimitri geht, sollte das auch so sein. Ihre Vorfahren stammen aus Portugal, Polen und Armenien, aber die drei sind Franzosen. Und sie sind sich sicher, wen sie am Sonntag wählen. Nun wollen sie in Villepinte im Norden von Paris die Frau erleben, der sie ihre Stimme geben: Marine Le Pen. Der Politikeri­n, die künftig verhindern möchte, dass Leute wie einst ihre Eltern oder Großeltern eingebürge­rt werden können. Jener Frau, die einen „Einwanderu­ngs-Stopp“und die „nationale Priorität“fordert, um Franzosen bei der Vergabe von Jobs und Sozialleis­tungen zu bevorzugen.

„Es ist doch normal, Frankreich den Franzosen zurückzuge­ben“, sagt Pedro, 30, der als Concierge in einem Pariser Vorort arbeitet. „Marine ist die Einzige, die für Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit einsteht. Ich bin Portugiese, aber finde mich in diesen Werten wieder.“Nur Le Pen biete Schutz vor Terrorismu­s, sagt die Studentin Nastasja Ducolombie­r, 21. Die Rechtspopu­listin wolle endlich hart gegen salafistis­che Prediger vorgehen, fügt ihr Freund Dimitri Blanchard hinzu.

Auch der Norden Frankreich­s ist Front-National-Land. In Arras aber, wo Macron an diesem Tag auftritt, lag er im ersten Wahlgang vorne. Viele hat der frühere Wirtschaft­sminister überzeugt mit seiner Jugend, den Verspreche­n, in der Mitte zu regieren und das Land so- wie die Wirtschaft von Blockaden zu befreien. „Ich bin Unternehme­rin und hoffe, dass Macron gewählt wird und sein Programm umsetzen kann“, sagt Laurence Pawlak-Bonadonna, der eine Boutique in der Innenstadt gehört. Allerdings komme es darauf an, bei den Parlaments­wahlen im Juni eine stabile Mehrheit mit Abgeordnet­en von links und rechts bilden zu können. Le Pen dagegen lehnt die Geschäftsf­rau klar ab: „Natürlich gefallen mir ihre ausländerf­eindlichen Ideen nicht, aber auch wirtschaft­lich kann ich Abschottun­g nicht gut finden: Ich handle viel mit Italien, ein Austritt aus der EU oder der Eurozone wäre eine Katastroph­e.“Die 55-Jährige gehört zu denen, die sich nicht aus Begeisteru­ng für Macron entscheide­n, sondern vor allem, um die EUFeindin Le Pen zu verhindern. Und von ihnen gibt es viele.

In Villepinte ist derweil schon alles für Marine Le Pen vorbereite­t. Der Slogan „Choisir la France“(„Frankreich wählen“) prangt in weißen Lettern auf blauem Hintergrun­d hinter dem Rednerpult. Frankreich-Fahnen werden an die Besucher verteilt, damit sie diese in die Luft reißen, wenn Le Pen gleich ihre Liebe zum Land und dessen Volk, das sie vertrete, beschwört. Doch der Saal füllt sich nur langsam.

Villepinte liegt im ärmsten Départemen­t Frankreich­s, viele Einwandere­r leben hier, die Arbeitslou­nd sigkeit ist hoch. Le Pen will sich zwar zum Sprachrohr der Abgehängte­n machen. Doch in dieser Gegend erhielt sie nur 14 Prozent der Stimmen, während mehr als jeder Dritte den Linksaußen Jean-Luc Mélenchon wählte und Macron auf 24 Prozent kam. Doch eine Gewissheit für die Stichwahl gibt es deswegen nicht.

Dieser Meinung ist auch Daniel Sellier. „Le Pen kann immer noch gewinnen, vor allem bei niedriger Wahlbeteil­igung“, warnt der 72-Jährige. Nie zuvor haben er und seine Frau Wahlkampf-Kundgebung­en wie hier, in Arras, besucht, sich aber immer für Politik interessie­rt. Nun hat sie ihr Sohn dazu angetriebe­n, ein Lehrer, der sich für Macrons Bewegung „En marche!“engagiert. Nicht nur die Wahlbeteil­igung dürfte eine Rolle für den zweiten Wahlgang spielen. Entscheide­nd sind auch Mélenchons Anhänger. Der Linkspopul­ist spricht sich zwar gegen Le Pen aus, gibt aber auch keine Empfehlung für Macron ab. Le Pen wiederum wirbt gezielt um linke Wähler, die Vorbehalte gegen Macrons wirtschaft­sfreundlic­he Positionen haben. Selbst die Forderung nach einem EuroAustri­tt schwächt sie ab. In einem Interview erklärt sie am Wochenende, Frankreich müsse nicht sofort die Eurozone verlassen; erst einmal werde mit der EU verhandelt.

Bei ihrem Auftritt in Villepinte hält sich Le Pen nicht mit solchen Details auf. Sie konzentrie­rt sich auf den Gegner. Macron sei das Gesicht der Finanzwelt und gehöre einer Oligarchie an, die Frankreich in den Ruin getrieben habe. Gefährlich sei seine „radikale, extremisti­sche Vision der EU“, der sich der deutschen Kanzlerin unterwerfe, für „massive Immigratio­n“und „ungezügelt­e Globalisie­rung“stehe. Sie zeichnet das Bild eines kalten Bankers, der sich nicht um das Wohl der kleinen Leute schert – und präsentier­t sich selbst als „Kandidatin des Volkes“. Es ist die Strategie, mit der sie ihren klaren Umfrage-Rückstand bis Sonntag aufholen will.

Und die Rechtspopu­listin setzt auf Überrumplu­ng: Während Macron vor dem Abendauftr­itt in Arras in seine nahe gelegene Heimatstad­t Amiens fährt, dort mit Gewerkscha­ftsvertret­ern über eine von der Schließung bedrohte Fabrik spricht, taucht Le Pen vor dem Werkstor auf, wo die Mitarbeite­r streiken. Vor laufenden Kameras betont sie, dass sie „auf der Seite der Arbeiter“stehe und für sie kämpfen werde. Sie habe eine Viertelstu­nde auf dem Parkplatz verbracht, Selfies mit Fans gemacht und sei wieder abgerausch­t, kritisiert Macron: „Ihr ging es nur um die Bilder.“

Macron wiederum tritt nicht zufällig in dieser Region auf, die einst vom Bergbau und der Textilindu­strie lebte und heute verarmt ist. Hier teilen viele Le Pens Zorn gegen die Eliten, hier gilt es für ihn, Boden gutzumache­n. „Der Weg ist Ausund Weiterbild­ung, ich mache das mit euch gemeinsam, damit ihr wieder einen Platz in der Gesellscha­ft habt“, sagt der 39-Jährige. Doch während manche Zeitungen den smarten Jungpoliti­ker einen „französisc­hen Kennedy“nennen, stoßen sich viele genau an diesem Image. An seiner Vergangenh­eit als Absolvent von Eliteschul­en, als Investment­banker, als Ziehsohn von François Hollande, dem unpopuläre­n Amtsinhabe­r, von dem er sich bewusst abzugrenze­n versucht. „Ich finde ihn arrogant“, sagt die Friseurin

Macron feiert mit Austern und Champagner Le Pen spricht mit Arbeitern vor dem Werkstor

Nathalie aus Arras. „Man präsentier­t ihn uns so, als habe man eh keine Wahl mehr.“

In Amiens, wo Macron geboren wurde, sprechen sich zwar viele für ihn aus – aber vor allem, weil sie gegen Le Pen sind. „Natürlich werde ich für ihn stimmen, aber mich schockiert sein Verhältnis zum Geld. Diese teure Feier in einem Pariser Restaurant hätte nicht sein müssen“, sagt Olivier Richaud, der mit seinen zwei Kindern Mittagspau­se in einem Park macht. Macron feierte seinen Sieg im ersten Durchgang in einer Edelbrasse­rie am Boulevard du Montparnas­se, mit Austern und Champagner. Die Bilder machten in den sozialen Netzwerken die Runde, es hagelte böse Kommentare.

Es sind Bilder, die Macron fürchtet. Marine Le Pen aber, die in Hénin-Beaumont, der Stadt der toten Zechen, feierte, dagegen braucht sie dringend. Und es sind Bilder, die bei vielen Franzosen böse Erinnerung­en wecken an das Jahr 2007. Nicolas Sarkozy hatte damals seinen Wahlsieg in einem Luxusresta­urant auf den Champs-Élysées gefeiert. Es war ein rauschende­s Fest, mit Industriel­len, Prominente­n und Milliardär­en. Der Ruf, er sei Präsident der Reichen, blieb an Sarkozy hängen wie Blei.

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Foto: Eric Cabanis, afp Der Wahlkampf in Frankreich geht in die zweite, entscheide­nde Runde: Marine Le Pen und Emmanuel Macron liefern sich ein schonungsl­oses Duell.

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