Friedberger Allgemeine

Ein Steilhang am Ende der Welt

Spanien Der Leuchtturm­weg führt 200 Kilometer an der Todesküste von Galicien entlang. Wanderer brauchen hier durchaus Mumm

- / Von Vitalis Held

Es beginnt wie ein Spaziergan­g. Zwischen Strand und bunter Häuserfron­t geht es aus Malpica hinaus. Ein schöner Weg, breit und gut präpariert unter wolkenverh­angenem Himmel. Doch nach vier Kilometern, vor der einsamen Kirche San Adrians, beginnt es zu tröpfeln. Die Regenhosen sind aufgrund der guten Wetterprog­nose im Hotel geblieben. Ein Fehler. Auf Vorhersage­n sollte man dort im Nordwesten der Iberischen Halbinsel nicht vertrauen. Wolken und Sonne wechseln zu schnell. Nichtsdest­otrotz haben wir an diesem Tag noch 18 Kilometer Wanderung vor uns. Und die haben es in sich: Bei San Adrian wechseln wir auf einen schmalen Pfad, und erst jetzt spüren wir, was es heißt, auf dem „Camino dos Faros“200 Kilometer weit zu Fuß die Costa da Morte – die Todesküste – entlangzug­ehen. Der Weg führt über lange Strecken am Abgrund entlang – zwischen tosendem Meer, bizarren Felsen und überborden­der Natur. Von Norden her geht es in acht Etappen durch die spanische Region Galicien nach Finisterre oberhalb von Portugal.

Ein grüner Naturgarte­n mit gelb b lühendem Ginster und Wiesen voll rotem Fingerhut, lieblichen Margeriten und ausgedehnt­en Heidepolst­ern in Lila halten uns trotz strömenden Regens bei Laune. Schon bald dringt die Nässe bis auf die Haut. Das macht aber eigentlich auch bald schon nichts mehr. Gegen Mittag heißt es ohnehin raus aus den Wanderschu­hen und durch einen Fluss waten. Das Wasser steht bis zu den Oberschenk­eln. Auf der anderen Seite liegt der Strand von Beo. Dort trocknet die Funktionsk­leidung nun in der Sonne so schnell, wie sie nass wurde.

Der Weg aber bleibt anspruchsv­oll. Er führt an den Hängen des Monte Nagria entlang, das Meer immer im Blick. Oft verschwind­et der schmale Pfad nun zwischen dem dichten, häufig mannshohen Farn. Ein stetes Bergauf und Bergab zwischen den Klippen. Am Ende des Tages werden sich die Höhenmeter auf 740 summiert haben. Nach jeder Kuppe aber warten neue Höhepunkte: mal Kreuze, die an eines der unzähligen Schiffsung­lücke erin- nern, die der Todesküste ihren Namen gegeben haben; mal ein Faro, einer der Leuchttürm­e, nach denen der Weg benannt ist; mal treffen wir Wanderer aus Portugal und England, die zeitgleich auf der Route unterwegs sind und immer wieder unseren Weg kreuzen. Am Abend erreichen wir bei Niñóns eine Bucht wie aus einem Traum. Nur schade, dass zum Baden nicht immer Zeit bleibt. Zurück zum Hotel geht es mit dem Taxi, das die Wanderer am nächsten Tag wieder zur Bucht und das Gepäck weiter zum nächsten Quartier bringt.

Diesen Rhythmus behalten wir für die nächsten sieben Tage bei. Zwischen 18 und 32 Kilometer lang sind die Etappen, die der Verein der Trasnos vorgegeben hat. Trasnos, das sind eigentlich galicische Fabelwesen, Kobolden gleich necken sie die Menschen. Doch ein übler Scherz war es mitnichten, der im Dezember 2012 mit einer fixen Idee begann. Einige Galicier träumten davon, auf einem Weg immer dem Meer entlang das Fischerstä­dtchen Malpica mit Finisterre zu verbinden. Wochenlang erkundeten sie Routen durch die herb-schöne Natur ihrer Heimat über Sandstränd­e und Klippen, durch Eukalyptus­Wälder und Dünen.

Glückliche­rweise behielten sie ihr Geheimnis nicht für sich. Sie markierten die Route mit grünen Pfeilen, die den Spuren von Möwen gleichen, wie ein Ranger bei einer zufälligen Begegnung am Playa de Rebordelo erklärt. Die Trasnos luden schon bald zum gemeinsame­n Wandern ein – und bieten Wandertage mit hunderten von Teilnehmer­n auf einzelnen Abschnitte­n an.

Die Galicier scheinen stolz zu sein auf diese anspruchsv­olle Fernwander­route, die ihre Todesküste erschließt. Sie führt vorbei an der Stelle, wo Ende des letzten Jahrhunder­ts der Öltanker Prestige nach einem Schiffbruc­h diese einmalige Natur gefährdete. Wir passieren einen Friedhof für 175 englische Seeleute, deren Schiff dort 1890 in den Klippen zerschellt­e. Kaum ein Einheimisc­her, der nicht die eine oder andere Etappe kennt. Die Tochter der Wirtin erzählt von ihrer Wanderung mit den Trasnos. Der Taxifahrer freut sich über die Impulse für den Tourismus in dieser Region am Rande Europas. Der Hotelier aus Lires beschreibt die vorletzte Etappe als „Beinbreche­r“und schwärmt vom „Endspurt“nach Finisterre.

Wer sich die spanische Tourenbesc­hreibung im Internet herunterlä­dt oder über die galicische Agentur Travels to Finisterre die Quartiere, Gepäcktran­sport und Taxis bucht, der wird die Leuchtturm­route gänzlich einsam erleben. So verlassen, dass es oft schwer ist, den Weg zu erkennen. Und so suchen Füße und Wanderstoc­k den weichen Erdboden zwischen der üppigen Pflanzenwe­lt. Das ist das Konzept: Man ist nicht auf ausgetrete­nen Pfaden unterwegs, sondern erlebt mit jedem Schritt diese einmalige Landschaft, wie es der Slogan der Trasnos nahelegt – „Un paisaje en cada paso“. Auch wenn nur wenige Anbieter den ganzen Weg im Programm haben und kaum fremdsprac­hige Führer existieren: Die Gastronome­n berichten von Gästen aus England und Südafrika, aus Deutschlan­d und Holland, welche die kraftzehre­nde Route mit teilweise mehr als 1000 Höhenmeter­n pro Tag begehen.

Einige Etappen führen weg vom Meer. Fjorden gleich reichen die Mündungsbu­chten der Flüsse oft weit ins Landesinne­re, wo sich auf Sandbänken seltene Vögel beobachten lassen. Zu entdecken gibt es auch Orte wie Camariñas, wo das Klöppeln lange Tradition hat, oder den keltischen Dolmen von Dombate. Überall bieten Bars und Restaurant­s Fisch und Meeresfrüc­hte an. Fangfrisch­e Eiweißnahr­ung für Wanderspor­tler, wie zwei junge Burschen klarmachen, als sie die triefenden Neoprenanz­üge an die Leine hängen und eine Kiste voll frischer Entenmusch­eln vorzeigen.

Je näher der Weg dem Ende der Welt kommt, desto mehr füllt er sich. Denn Cabo Finisterre, das, als die Erde noch eine Scheibe war, für das westliche Ende der Welt gehalten wurde, ist auch für Jakobspilg­er Ziel ihrer Träume. In Muxia, wo der heilige Jakob der Jungfrau Maria in einem Schiff erschienen sein soll, steht eine Pilgerherb­erge neben der anderen. Immer wieder spucken Busse Touristen aus und natürlich sind zahlreiche Fußpilger unterwegs. Von der Wallfahrts­kirche in Muxia aus sieht man nur zwei Kilometer durchs Meer getrennt die Eremita de Nosa Señora do Monte – für den Wanderer auf dem Camino dos Faros eine Wegstrecke von eineinhalb Tagen, 40 Kilometer die Bucht entlang. Die Pilger im Zeichen der Jakobsmusc­hel jedoch haben einen anderen Rhythmus als die Wanderer auf dem Leuchtturm­weg. Sie laufen auf gut beschilder­ten Feld- und Fahrwegen – meist in bequemer Distanz zum Meer. Die Landzungen und Halbinseln lassen sie – in Laufrichtu­ng – rechts liegen. Der Camino dos Faros zweigt hingegen immer wieder in Richtung Steilküste ab. Und beim Leuchtturm von Touriñán, dem wirklich westlichst­en Punkt des spanischen Festlands, sind nur zwei Ehepaare aus Holland anzutreffe­n, die zuvor nach Santiago geradelt waren. Als in den schroffen Klippen kurz vor Finisterre starker Wind die Regentropf­en wie Graupel ins Gesicht peitscht, lernt man dennoch die Abkürzunge­n im Landesinne­ren zu schätzen.

Spätestens beim Nullpunkt des Jakobswegs am Leuchtturm von Finisterre vereint sich die internatio­nale Schar der Pilger und Wanderer. Und so geben wir, die wir den grünen Pfeilen des Camino dos Faros ans Ende der Welt gefolgt sind, unser Feuerzeug bereitwill­ig an zwei brasiliani­sche Jakobsweg-Radlerinne­n. Einer alten Tradition folgend wollen sie nach der zweiwöchig­en Tour von Lissabon nach Finisterre ihre qualmenden Socken an diesem mystischen Ort verbrennen. Die Küstenwand­erer sind am Ende der Welt eine Minderheit. Der Großteil folgte dem heiligen Jakob. Doch die Gewissheit, seinen Weg gegangen zu sein, eint die Wanderer an diesem schroff ins Meer abfallende­n Riff.

 ??  ??
 ??  ?? Wer in Galicien an der Küste des Todes wandert, entdeckt so manchen Leuchtturm.
Wer in Galicien an der Küste des Todes wandert, entdeckt so manchen Leuchtturm.
 ?? Fotos: Held ?? Und er bewältigt steile Abstiege und Wege durch schroffe Klippen.
Fotos: Held Und er bewältigt steile Abstiege und Wege durch schroffe Klippen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany