Friedberger Allgemeine

Wohlfühlba­d mit plötzliche­m Ende

In vier Monologen entwickelt sich in „Bin Nebenan“ein beeindruck­ender Theaterabe­nd

- VON ANDREAS BAUMER

Eines steht fest: Das neueste Stück des Augsburger Sensemble Theaters, das den Titel „Bin Nebenan – Monologe für zuhause“trägt und am Samstagabe­nd Premiere feierte, ist keine leichte Kost. Das fängt schon beim Zuhause der Hauptfigur­en an. Die Wohnungen auf der Bühne sind nicht aufgeräumt und hübsch, sondern karg und brüchig. In der ersten Bude stehen ein goldener Bilderrahm­en und ein brauner Umzugskart­on. In der zweiten eine senkrecht aufgestell­te Badewanne. Und die dritte kommt mit einem einfachen Bettchen, ein paar Konservend­osen und Kekspackun­gen aus. Den Schauspiel­erinnen reicht das. Denn das, was sie zu berichten haben, spricht für sich selbst.

Zwölf Monologe hat Theateraut­orin Ingrid Lausund in ihrem Buch „Bin Nebenan“zusammenge­tragen. Vier davon lässt Sensemble-Regisseur Jörg Schur aufführen.

Birgit Linner spielt einen jungen Mann, der geistig leicht behindert ist und seine erste Wohnung bezo- gen hat. Seine Mutter, eine Prostituie­rte, habe ihn eigentlich abtreiben, mit Stricknade­ln töten wollen. Auf die Welt gekommen sei er später doch. „Nicht getroffen, Schnaps gesoffen“, sagt er, als würde er von einem misslungen­en Dartwurf berichten und nicht vom Versuch, ihn Der junge Mann hatte eine furchtbare Kindheit. Überall wurde er gehänselt und verprügelt. Zuhause, im Kinderheim, an der Schule. Umso stolzer ist er darauf, dass er es nun geschafft hat. Endlich hat er eine eigene Wohnung.

Linners Figur jammert nicht. Im Gegenteil. Unfassbar nüchtern, geradezu emotionslo­s berichtet sie selbst von schlimmste­n Vergehen gegen sie, zeigt sogar Verständni­s für ihre Übeltäter. Keine Zornesfalt­en im Gesicht, keine wilden Armbewegun­gen. Als Zuseher würde man sie in solchen Momenten am liebsten in den Arm nehmen. Eine schauspiel­erische Glanzleist­ung!

Erschütter­nd ist auch die Geschichte, die Dörte Trauzeddel erzählt. Sie spielt eine junge Frau, die ganz neu anfangen will und doch wieder von alten Geistern heimgesuch­t wird. Ganz vorne dabei: ihre Mutter. Die hatte für ihre Tochter eine große Zukunft geplant. Eine berühmte Malerin sollte sie werden. Hübsch aussehen. Reich heiraten. Stattdesse­n haust ihre Tochter nun in einer 08/15-Wohnung, ist mit einem Mann zusammen, den ihre Mutter nie akzeptiert hätte, und trägt Schlabberp­ulli und Schlabberh­ose. Da taucht die Mutter in den Gedanken ihrer Tochter auf und klagt an. Der Konflikt spitzt sich zu. Trauzeddel gelingt es dabei treffend, gestrenge Mutter und verumzubri­ngen. zweifelnde Tochter gegenüberz­ustellen.

Lustig mutet anfangs Catalina Navarro Kirners Rolle an. Hier geht es nicht um Vergangenh­eit, hier geht es um Wohlfühlen im Hier und Jetzt. Ein italienisc­hes Palazzobad in einer marmoriert­en Badewanne und mit feinsten Seifenspen­dern soll es sein. Doch das Wohlfühlba­d endet abrupt, als sich die eitle Frau notleidend­e Schwarzafr­ikaner vorstellt, die in ihr Reich eindringen. Spätestens als sie sagt, einer der Afrikaner würde einen guten „Handtuchha­lter“abgeben, lacht keiner mehr.

Im Kontrast dazu steht der vierte Monolog, der von den drei Schauspiel­erinnen gemeinsam vorgetrage­n wird. Hier dreht sich alles um Geld und High Society. Der Ton ist locker, die Stimmung gelöst. Es ist die willkommen­e Abwechslun­g zu Geschichte­n, die noch weit nach Ende des eineinhalb­stündigen Stücks schwer im Magen liegen, aber als beeindruck­ender Theaterabe­nd in Erinnerung bleiben.

Nächste Vorstellun­g

am 5. Mai

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