Ein Plan für die Stunde des Friedens in Aleppo
Für den Wiederaufbau der Weltkulturerbe-Stadt mit ihrer mehrtausendjährigen Geschichte haben deutsche und syrische Wissenschaftler eine detaillierte Kartografie erarbeitet. Moderne Neubauten sollen verhindert werden
Cottbus Viel fehlt nicht mehr. Ein paar rechtliche Fragen sind noch zu klären, dann wollen Christoph Wessling und seine Kollegen zum ersten Mal einen Zwischenstand ihres Projekts ins Netz stellen: Einen Plan der historischen Altstadt von Aleppo. Den Plan einer Stadt, die es so nicht mehr gibt.
Aleppo ist zu einem Symbol des syrischen Bürgerkriegs geworden, wohl weil es syrische Geschichte und Großstadt vereint. Es ist eine Stadt mit außergewöhnlichen Bauwerken wie der Umayyaden-Moschee und der Zitadelle. Eine Stadt, die seit 5000 Jahren durchgehend besiedelt ist.
Das Besondere am Weltkulturerbe von Aleppo sei, dass nicht über eine antike Ausgrabungsstelle gesprochen werde, sondern über eine lebendige Altstadt, die bis heute das Zentrum der Stadt ist – so sagt es Christoph Wessling. Der 50-jährige Architekt und Stadtplaner lehrt an der Universität Cottbus und kennt Aleppo durch etliche eigene Besuche. Seit mehr als zehn Jahren besteht eine Kooperation zwischen der Brandenburger Universität und der Uni in Aleppo. Bestimmt zehn Mal sei er dort gewesen, zuletzt im März 2012, berichtet Wessling, Mitarbeiter des Cottbuser Lehrstuhls Städtebau und Entwerfen. Da war der Bürgerkrieg in Syrien bereits im Gange.
Im Flur von Lehrgebäude 2A auf dem Cottbusser Campus hängen großformatige Ausdrucke der Altstadtkarte. 16 000 Parzellen haben Christoph Wessling und seine Mitarbeiter auf dem Plan eingezeichnet und zusätzlich etwa 400 einzelne Grundrisse wichtiger Gebäude erstellt. Er zeigt die erste detaillierte Gesamtansicht der Stadt, entworfen im Maßstab 1:500. Wir wollen nicht die Einzelgebäude erhalten, sondern die Stadtstruktur, die das Besondere ist, betont Wessling.
Diese Altstadtkarte wird an Partner arabischer Universitäten und an Architekten-Initiativen verschickt, die das Welterbe erhalten wollen. Und sie soll bald auf der Internetseite der Universität zum Download bereit stehen.
Die Altstadtkarte ist Teil eines größeren Projekts, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Das Projekt heißt „Stunde Null“und soll die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Syrien nach Ende des Bürgerkriegs wiederaufgebaut werden kann. Auch syrische Wissenschaftler werden dafür gefördert – in Cottbus beispielsweise arbeiten drei Doktoranden aus dem Land. Im Museum für Islamische Kunst in Berlin soll alles archiviert werden, was in Cottbus und anderswo erarbeitet wird.
Auf die Ergebnisse, so lautet der Plan des Projekts, darf dann jeder zugreifen. Denn: Keiner weiß heute, wer eigentlich eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau einnehmen wird, erklärt Stadtplaner Wessling. Der Cottbusser Ingenieur fährt mit seinem Finger über einen Teil der Altstadtkarte. In Schwarz sind dort große Gebäudekomplexe eingezeichnet, darunter in Rot kleinere Parzellen. Ein Hotel, ein Einkaufszentrum, eine große Straße. Die roten Markierungen zeigen an, wie dieser Stadtteil früher ausgesehen hat.
Im Westen der Altstadt sind alte Gebäude zugunsten neuerer abgerissen worden. Christoph Wessling will verhindern, dass auch in anderen Teilen der Altstadt moderne Neubauten entstehen. Ob es klappt? Schwierig, gesteht er. Sollten Großinvestoren kommen, dürften diese andere Interessen haben, als die Stadt mit der gleichen, kleinteiligen Struktur und den Sackgassen-Systemen wiederaufzubauen. Das zeige beispielsweise die Erfahrung von Beirut. Große Teile der libanesischen Hauptstadt wurden im Bürgerkrieg, der bis 1990 dauerte, zerstört.
Beim Wiederaufbau aber durften die Fachleute der renommierten Beiruter Universität nicht mitreden. Wessling hofft, dass dies in Aleppo anders läuft, wenn die Grundlagen für einen Wiederaufbau geschaffen sind und jeder auf diese Grundlagen zugreifen kann.
Beim Aufbau der syrischen Stadt geht es um mehr als darum, ein Welterbe wiederherzustellen. Da ist sich Wessling sicher. Jede Bevölkerungsgruppe braucht Orte, mit denen sie sich identifiziere. Unsere Altstädte in Deutschland seien solche Orte, sagt Wessling. Was aber für deutsche Altstädte und Wahrzeichen gilt, gelte auch für Aleppo – vor allem für den Basar und den Bereich rund um die Zitadelle. Da waren
„Wir wollen nicht die Einzelgebäude erhalten, sondern die Stadtstruktur.“ Die Stunde Null ist aber noch lange nicht in Sicht
Restaurants, da trafen sich die Menschen.
Die Altstadt war der Ort, wo Aleppiner hingegangen sind, erzählt Christoph Wessling. Sie könne deshalb auch nach dem Krieg wieder ein Bezugspunkt für alle sein. Doch was heißt eigentlich nach dem Krieg? Die Streitkräfte des AssadRegimes haben Aleppo zwar mittlerweile eingenommen. Vorbei sind die Kämpfe deshalb noch nicht. Anders als einst in Deutschland, wo die Kapitulation am Ende des Zweiten Weltkriegs eine neue Phase einleitete.
Eine solche Stunde Null ist in Syrien noch lange nicht in Sicht.