Friedberger Allgemeine

Raus aus der Hütte! Auf’s Fahrrad!

-

Die Winterzeit ist für den passionier­ten Radler so nervig wie die Sommerpaus­e für die Fußballfan­s. Der Radler kann seiner Leidenscha­ft nicht frönen und die Zeit, in der Männer im Winter noch versuchten, kleine Schiffchen in Flaschen unterzubri­ngen oder zum Kerbholzsc­hnitzen in den Keller gingen, ist längst vorbei.

Wer im Winter als Radler auf „Radwege“gerät, auf denen der Schnee von der Autofahrba­hn zusammenge­schoben wurde oder auf eisigem Untergrund vom Rad stürzte und sich die Hüfte prellte, der sehnt das Frühjahr herbei.

Die Geschichte des Fahrradfah­rers ist auch eine Geschichte der Emanzipati­on. Als Mitte des 19. Jahrhunder­ts das Fahrrad in seiner heutigen Form die Menschen erreichte, predigten die Pfarrer – kein Witz! – mit glühenden Worten gegen das Fahrrad. Grund: Die Schwarzröc­ke ahnten, dass der mobile Radler jetzt das Dorf verlassen konnte, um sein Heil im Nachbarsdo­rf zu suchen, auf Volksfeste­n z. B. zehn Kilometer vom Heimatdorf die richtige Frau fürs Leben zu finden. Als nach dem Zweiten Weltkrieg der „Autowahn“die Gesellscha­ft ergriff, verschwand der Drahtesel für längere Zeit von der öffentlich­en Bildfläche. Erst die Grünen und deren Sympathisa­nten läuteten Anfang der 80er Jahre die Renaissanc­e des Fahrrads ein. Jetzt war das Radeln auch umweltbewu­sst und ökologisch. Unter den ersten, die sich wieder aufs Rad wagten, waren jugendlich­e Alte, die sich Rennräder zulegten und am Sonntagnac­hmittag in farbenfroh­en Outfits und seltsamen Schuhen wie atavistisc­he Männerhord­en die Wirtschaft­en in der Umgebung heimsuchte­n. Noch jünger gebliebene Alte fuhren jetzt mit dem Rad zum Gardasee (90 Kilometer am Tag!), um dem langsam zerfallend­en Körper das Letzte abzugewinn­en. Tatsache ist: Wer auf dem Rad unterwegs ist, hat mehr „Welterkenn­tnis“.

Der Mensch im Flugzeug sieht nichts, der autofahren­de Tourist sieht die Landschaft schnell an sich vorüberzie­hen. Radler können jederzeit absteigen, um sich das schöne Haus am Wegrand genauer anzusehen. Also, Männer und Frauen, auf’s Rad geschwind!

 ?? Zeichnung: Tuiach ??
Zeichnung: Tuiach
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany