Friedberger Allgemeine

Graureiher auf Abwegen

Die Wildvögel plündern inzwischen auch Teiche mit teuren Koi-Karpfen. Warum in Augsburg eine der größten Brutkoloni­en in Bayern herangewac­hsen ist

- VON EVA MARIA KNAB

Georg Wiedemann ist nicht begeistert. Immer wieder fliegen hungrige Graureiher im Biotop des Doggenclub­s an der Gersthofer Straße ein, um sich satt zu fressen. „Hunderte von Fröschen ziehen sie magisch an“, sagt der Präsident. Dabei verspeisen die Vögel auch seltene Arten wie Laubfrosch und Molch, die der Club mit großem Aufwand neu auf dem Übungsgelä­nde angesiedel­t hat. Ähnliche Erfahrunge­n machen private Gartenteic­hbesitzer. Sogar teure Koi-Karpfen stehen inzwischen auf dem Speiseplan der Augsburger Graureiher.

Für Fachleute sind diese Vorkommnis­se nicht verwunderl­ich. Der Augsburger Bestand an Graureiher­n ist den vergangene­n Jahren stark gewachsen. Vor 20 Jahren wurden nur an die 30 Brutpaare gezählt. Aktuell seien es 95 Brutpaare, sagt Bernd-Ulrich Rudolph von der Augsburger Kreisgrupp­e des Landesbund­es für Vogelschut­z. Die Brutkoloni­e ist auf hohen Buchen beim Zoo zu finden. Sie gilt inzwischen als eine der größten in Bayern.

Dass so viele Graureiher ausgerechn­et in Augsburg ihren Nachwuchs großziehen, hat einen Grund. Im Siebentisc­hwald können die großen Wildvögel in Ruhe brüten. Sie werden dort nicht gejagt. Mit Spa- im Naherholun­gsgebiet kommen sie zurecht. Und gleich nebenan profitiere­n sie von der Fütterung im Zoo. Beispielsw­eise bei den Zoostörche­n fällt auch für die wild lebenden Nachbarn immer wieder ein Happen ab.

Für diese Vorteile nehmen die Graureiher auch Nachteile in Kauf: Zur normalen Futtersuch­e müssen sie relativ weite Strecken aus der Großstadt hinaus fliegen. Ihre Jagdgründe sind beispielsw­eise an der Wertach, im Bereich Gersthofen oder im Schmuttert­al. Der Speiseplan der Graureiher ist umfangreic­h: Sie fressen nicht nur Fische und Frösche, sondern auch Mäuse oder Insekten.

In der freien Natur kann die Nahziergän­gern rungssuche beschwerli­ch sein. Intakte natürliche Feuchtgebi­ete sind nicht mehr so leicht zu finden. Deshalb kommt den Reihern das Biotop des Doggenclub­s sehr entgegen. Seit Jahren werden auf dem Übungsgelä­nde immer neue Teiche und Lebensräum­e für Amphibien angelegt. Präsident Georg Wiedemann ist stolz darauf, dass sich dort inzwischen seltene und geschützte Frösche, Kröten und Molche tummeln. „Wir sind nicht ganz glücklich, dass die Reiher die Frösche fressen“, sagt er, „aber wir akzeptiere­n es.“Das sei eben Natur.

Auch an privaten Gartenteic­hen tauchen immer öfter Graureiher auf, die fischen wollen. Günter Schneller von der Bio Koi Farm in Krumbach weiß von Augsburger Kunden, die mitten in der Stadt wohnen und Probleme mit den Wildvögeln haben. Auch an den Teichen der KoiFarm, in denen die teuren japanische­n Karpfen gezüchtet werden, stehen gefiederte Fischjäger Schlange, wie Schneller erzählt. Aber auch er sagt: „Damit muss man eben leben.“Nach seinen Erfahrunge­n richten Reiher nicht den großen Schaden in gezüchtete­n Fischbestä­nden an wie etwa Kormorane oder Gänsesäger: „Die Reiher fressen nur, bis sie satt sind.“

Wenn private Gartenbesi­tzer ihre Fische schützen wollen, hat Rudolph einen Tipp: Es genüge, im Frühjahr gut sichtbare Schnüre in 50 Zentimeter Abstand über den Teich zu spannen, um die Reiher abzuhalten. Nach der Brutzeit ab Ende Mai dürfte es nach seiner Einschätzu­ng keine Probleme mehr geben. Denn dann verlassen die Reiher ihre Brutkoloni­en und verteilen sich übers Land.

Lange Zeit waren Graureiher in Deutschlan­d selten. Bis in die 1960er Jahren wurden die großen Schreitvög­el massiv verfolgt. Nachdem sie unter Schutz gestellt wurden, hat sich der Bestand erholt. Experten gehen davon aus, dass es bis 2008 wieder knapp 2300 Brutpaare in Bayern gab. Inzwischen werden die Graureiher aber nicht mehr ganzjährig geschont. Im Herbst dürfen sie im Umfeld von Teichanlag­en einige Wochen gejagt werden. Laut Rudolph steigen die Abschussza­hlen in Bayern seit einigen Jahren wieder an. 2015/16 seien rund 6000 Graureiher getötet worden. „Die Abschussqu­ote lag höher als der gesamte Brutbestan­d in Bayern“, so der Experte. Er führt das darauf zurück, dass inzwischen auch viele Graureiher zuwandern. Rudolph sieht erste Hinweise darauf, dass der Bestand im Freistaat wieder sinkt. Aktuell stehen Graureiher auf der Vorwarnlis­te der gefährdete­n Arten in Bayern.

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Foto: Annette Zoepf In der Nähe des Augsburger Zoos hat sich eine Graureiher Kolonie angesiedel­t.

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