Die Tram auf dem Weg ins Umland
In Neusäß sind sie im Straßenbahn-Fieber: Jedenfalls wird der Vorschlag von Stadtwerke-Chef Walter Casazza für eine Linie zum Titania heiß debattiert. Das ist nicht die einzige Idee für Verlängerungen, doch es gibt Hindernisse
Augsburg Jahrzehntelang war die Straßenbahn nach Stadtbergen die einzige Linie, die über die Augsburger Stadtgrenze fuhr. Das wird sich ändern: Königsbrunn bekommt einen Straßenbahnanschluss, Neusäß und Gersthofen denken darüber nach. Friedberg hat mit der Wendeschleife nahe der Segmüller-Kreuzung zumindest einen „halben“Tramanschluss. Sollten alle Pläne aufgehen, würden einmal fünf von zehn Endhaltestellen außerhalb der Stadt liegen.
Noch ist das freilich Zukunftsmusik, weil es für Neusäß und Gersthofen nur Überlegungen gibt. In Gersthofen liegen die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie noch nicht vor, in Neusäß denkt man über eine solche Studie noch nach. Aber bis vor zehn Jahren galten Straßenbahnlinien ins Umland als unmöglich. Stadtbergen galt als Sonderfall, die Verlängerung nach Königsbrunn schien in weite Ferne gerückt. In der Planung traten Verlängerungen der Linie 1 vom Neuen Ostfriedhof zum Hochzoller Bahnhof und ein Streckenast von Lechhausen in die Hammerschmiede in den Vordergrund.
Dass die Umland-Thematik nun ins Rollen kommt, liegt vor allem an Stadtwerke-Geschäftsführer Walter Casazza, der vor dreieinhalb Jahren nach Augsburg kam. Casazza war vorher in Karlsruhe. Die Stadt gilt als Musterbeispiel für vernetzten Nahverkehr ins Umland: Die Stadtbahn nutzt dort sogar Gleise der DB, um in die Region hinauszufahren. In Augsburg hat man sich für einen anderen Weg entschieden: Mit dem Tramtunnel unter dem Hauptbahnhof samt Haltestelle unter den Bahnsteigen rücken Tram und Bahn so nah zusammen, dass sie fast zu einem Verkehrsmittel verschmelzen. Gleichwohl treibt Casazza den Tramnetzausbau ins Umland voran. „Die Menschen machen an den Stadtgrenzen nicht halt.“Auf die Mobilitätsbedürfnisse, vor allem auch der Berufspendler, müsse man reagieren. „Schienenachsen sind Entwicklungsachsen“, so Casazza. Beispiel: Das neue Viertel Haunstetten Süd/West soll entlang der geplanten Linie-3-Verlängerung nach Königsbrunn entstehen.
Anders als Königsbrunn, das als größte Stadt im Landkreises Augsburg bisher über keinerlei Schienenanschluss verfügt, haben Neusäß und Gersthofen aber bereits Bahngleise und somit Anschluss an den s-bahn-ähnlichen Regio-SchienenTakt. Casazza glaubt nicht, dass sich Tram und Bahn gegenseitig Fahrgäste wegnehmen würden. Dafür seien die Bedürfnisse zu unterschiedlich. Hinzu komme, dass eine Tram Städte wie Gersthofen oder Neusäß innerorts erschließe.
Zum Problem kann die Doppelerschließung aber werden: Als es vor zehn Jahren um die Genehmigung der 6-er nach Friedberg ging und um die Frage, die Tram bis ins Stadtzentrum zu bauen, meldete die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) Bedenken an. Die BEG organisiert im Auftrag des Verkehrsministeriums den Bahn-Nahverkehr. Man sei nicht bereit, einen Viertelstundentakt auf der Bahn zwischen Friedberg nach Augsburg zu bezahlen, wenn eine Tram als direkte Konkurrenz gebaut werde.
Das Thema war ohnehin schnell abgehakt, weil bei einer Verlängerung der Landkreis Aichach-Friedberg für die jährlichen Betriebskosten hätte mitzahlen müssen. Die Krux am grenzüberschreitenden Verkehr ist, dass die Finanzierung komplizierter wird: Die Verluste aus dem Tramverkehr müssen sich dann die Stadtwerke der Stadt Augsburg und der zuständige Landkreis teilen. Im Fall von Königsbrunn werden jährlich rund 950 000 Euro Miese auf dem Königsbrunner Streckenteil anfallen, die sich Kreis und Stadt Königsbrunn teilen müssen. Die Frage der Aufteilung sorgte in den Verhandlungen jahrelang für Stillstand.
Sollten irgendwann weitere Tramlinien in den Landkreis führen, müsste dieser auch hier zahlen. Falls es in Neusäß und Gersthofen konkret wird, wäre es für den Landkreis nicht ganz einfach, sich dem Wunsch zu verschließen. Denn Neusäß und Gersthofen sind unter den Kommunen, die viel Kreisumlage zahlen. Landrat Martin Sailer kündigte bereits an, dass er sich eine Lösung wie in Königsbrunn etwa auch in Neusäß vorstellen könnte.
Hier ein Überblick über die aktuellen und möglichen Projekte:
Linie 3 nach Königsbrunn Die Verlängerung von der Endhaltestelle in der Inninger Straße bis zum zentralen Umsteigepunkt an der Königstherme kommt sicher. Der Durchbruch dafür wurde vor eineinhalb Jahren erzielt, als Stadt Augsburg, Landkreis Augsburg und Stadt Königsbrunn einen Vertrag unterzeichneten. 4,6 Kilometer wird die Strecke lang. Die Stadtwerke wollen in den nächsten Monaten die fertigen Planunterlagen bei der Regierung von Schwaben einreichen. Die Behörde ist für die Genehmigung einer Tramlinie zuständig. Größere Hindernisse sehen die Stadtwerke auf dem Weg zur Genehmigung nicht. Das Prüfverfahren könnte ein Jahr dauern, dann kann gebaut werden. Vor 2020 dürfte keine Straßenbahn rollen.
Linie 4 nach Gersthofen Die Stadt entschied sich 2016 dafür, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben. Das ist der allererste von vielen Schritten, um eine Straßenbahn zu bekommen. Ein Thema ist unter anderem, wo eine Straßenbahn überhaupt fahren könnte. Namentlich geht es um die Hauptstraße in Gersthofen, die Augsburger Straße. Die Frage ist, wie hier Straßenbahngleise unterzubekommen wären.
Linien 2 oder 5 nach Neusäß In Neusäß wird gerade überlegt, ob man überhaupt eine Machbarkeitsstudie für eine Tram erstellen möchte. Da das Klinikum zur UniKlinik wird, hat den Überlegungen neuen Schwung verliehen. Die Stadtwerke hielten eine Verlängerung der Linien 2 (momentan mit der Enthaltestelle Klinikum/ P+R-Platz Augsburg-West) oder der noch zu bauenden Linie 5 (momentan geplanter Endhalt am Klinikum) für möglich. Mehrere Varianten, sei es durch die Hauptstraße oder durch das westlich gelegene Stadtgebiet, sind in der Überlegung. Endhalt wäre das Titania-Bad. Die Machbarkeitsstudie müsste auch hier klären, wo eine Tram überhaupt untergebracht werden könnte und wo es Fahrgastpotenziale gibt.
Linie 6 nach Friedberg Eine Verlängerung ins Friedberger Zentrum ist momentan kein Thema, zumal die Bahn hier im Viertelstundentakt fährt. Möglicherweise würde man die Bahn heute aber anders planen als noch vor mehr als zehn Jahren. Dass die Tram überhaupt bis Friedberg fährt, liegt nur an Platzgründen. Ursprünglich war die Endhaltestelle am Rudolf-Diesel-Gymnasium vorgesehen. Dort war aber kein Platz für einen Park-and-ride-Platz. Also verlängerte man die Bahn um einige hundert Meter bis auf Friedberger Flur. Das hat zur Folge, dass Fahrgäste nach Friedberg auf der grünen Wiese von der Tram in den Bus hinauf zum Stadtzentrum umsteigen müssen. Dieses ZwangsUmsteigen ist – ähnlich wie in Gersthofen – bei den Fahrgästen mäßig beliebt. »Kommentar