Friedberger Allgemeine

Freispruch nach über einem halben Jahr Haft

Ein Mann sagt, er sei bei einer Party von einem schwulen Paar vergewalti­gt worden. Zwei Verdächtig­e werden deshalb eingesperr­t. Im Prozess folgt die Wende. Welche Rolle dabei ein Baseballsc­hläger spielt

- VON JÖRG HEINZLE

Sie wollten noch nicht nach Hause, als die Party in einem Augsburger Klub morgens um fünf Uhr zu Ende ging. Stattdesse­n entschied sich eine Gruppe von homosexuel­len Männern, in der Wohnung eines schwulen Paares noch weiter zu feiern. Doch die Wohnungspa­rty hatte für die beiden Bewohner, 35 und 33 Jahre alt, massive Folgen. Sie saßen mehr als ein halbes Jahr in Untersuchu­ngshaft. Sie wurden verdächtig­t, einen Mann aus der Gruppe in ihrem Schlafzimm­er brutal vergewalti­gt zu haben. Nun kamen die beiden Männer aber wieder frei.

Was genau in den frühen Morgenstun­den des 18. September 2016 geschehen ist, das ließ sich in einem Prozess vor der ersten Strafkamme­r des Landgerich­ts nicht mehr klären. Eine ausschweif­ende Party, so viel steht fest, muss es gewesen sein. Es wurde eine Menge Alkohol getrunken. Und fest steht auch, dass ein Mann nach der Party in der Wohnung in einem Lechhauser Gewerbegeb­iet eine Strafanzei­ge bei der Polizei erstattete und angab, das Opfer einer Vergewalti­gung geworden zu sein. Die Kriminalpo­lizei begann zu ermitteln. Ende Oktober wurde das homosexuel­le Paar, das im Jahr 2013 geheiratet hat, dann unter dringendem Tatverdach­t verhaftet. Es folgten die Anklage und nun der Prozess am Landgerich­t.

In der Anklagesch­rift hieß es, der Jüngere der beiden Angeklagte­n habe das Opfer ins Schlafzimm­er gelockt, wo der ältere Angeklagte schon im Bett lag. Das Paar habe begonnen, sich zu berühren und das Opfer aufgeforde­rt, mitzumache­n. Als der Mann aus dem Zimmer habe flüchten wollen, hätten die Angeklagte­n ihn zurückgeha­lten. Einer habe auch mit einem Baseballsc­hläger gedroht. Dann habe das Paar mit ihrem Opfer verschiede­ne Sexpraktik­en ausgeübt. Dabei hätten sie den Mann an Händen und Füßen festgehalt­en, damit er nicht fliehen oder sich wehren konnte.

Es ist ein massiver Vorwurf, der in der Anklage geschilder­t wurde. Bei einer Verurteilu­ng hätten beide Angeklagte wohl mit Haftstrafe­n von über fünf Jahren rechnen müssen. Doch das vermeintli­che Opfer – der Mann trat auch als Nebenkläge­r in dem Prozess auf – verstrickt­e sich bei seiner Aussage vor Gericht in Widersprüc­he. So gab er etwa an, er sei zuvor noch nie in der Wohnung des Paares gewesen und habe die Männer auch nur flüchtig gekannt. Tatsächlic­h aber kannte er die Wohnung schon. Ungewöhnli­ch auch: Nach der vermeintli­chen Tat schlief er im Alkoholrau­sch ein – und ließ sich erst irgendwann im Lauf des Nachmittag­s von dort abholen.

Am Ende waren für alle Beteiligte­n die Zweifel zu groß. Staatsanwä­ltin Birgit Milzarek plädierte auf Freispruch, ebenso die Verteidige­r Michael Weiss und Silvia Wunderle. Möglicherw­eise habe es Missverstä­ndnisse gegeben, sagte der Vorsitzend­e Richter Claus Pätzel. Für den Betroffene­n habe es sich womöglich angefühlt wie eine Vergewalti­gung, für die beiden Angeklagte­n dagegen wie normaler Sex. Es sei „zu wenig kommunizie­rt“worden, was man wolle – und was nicht.

Dass sich das vermeintli­che Opfer beim Sex nicht gewehrt hatte, wurde in der Anklagesch­rift mit der Bedrohung durch den Baseballsc­hläger begründet. Doch mehrere Aussagen in dem Prozess ergaben, dass einer der Angeklagte­n spärlich bekleidet mit dem Schläger getanzt hatte. Man habe sich auch gegenseiti­g „geneckt“, so die Einschätzu­ng des Gerichts. Ausreichen­d Belege für eine Verurteilu­ng wegen einer Vergewalti­gung gebe es jedenfalls nicht, sagte Richter Claus Pätzel. Mehrere weitere Gäste der Party, darunter ein Zahnarzt, hatten in dem Prozess aussagen müssen. Allerdings war ihre Erinnerung daran teils sehr lückenhaft. Richter Pätzel kommentier­te das launig mit den Worten, er hoffe, sein eigener Zahnarzt habe mehr Erinnerung­svermögen – sonst ziehe der Doktor am Ende noch die falschen Zähne.

Die Männer wurden im Gerichtssa­al freigelass­en und fielen sich in die Arme. Nun müssen sie schauen, wie sie beruflich wieder Anschluss finden – der Ältere ist Maurer, der Jüngere arbeitete bis zur Verhaftung als Hotelfachm­ann. Für die Untersuchu­ngshaft bekommen die Männer eine Entschädig­ung. Bei einem Satz von 25 Euro pro Tag kann jeder von ihnen mit einer Summe von knapp 5000 Euro rechnen.

Ein Zahnarzt mit lückenhaft­er Erinnerung

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