Friedberger Allgemeine

Aufbruchst­immung

Für viele Ensemblemi­tglieder sind es die letzten Wochen am Theater Augsburg. Wie Schauspiel­er die aktuelle Situation wahrnehmen und warum sich Kerstin König entschiede­n hat, das Haus zu verlassen

- VON ALEXANDER RUPFLIN

Für Kerstin König sind es die letzten Wochen in Augsburg. Mit „Unruhe im Paradies“erlebte die Schauspiel­erin gerade ihre Abschlussp­remiere, auf Wohnungssu­che ist sie auch längst – in Köln. Nicht nur sie verlässt die Stadt, mit ihr geht das halbe Ensemble – unter anderem Jessica Higgins, Gregor Trakis, alexander Darkow und Sebastian Arranz. Das Besondere bei König: Im Gegensatz zu einigen ihrer Kollegen hätte sie bleiben können. Der neue Intendant André Brücker hatte ihr eine Vertragsve­rlängerung angeboten. Er wollte sie hierbehalt­en. Aber die 27-Jährige lehnte ab.

Wie kaum eine Spielzeit zuvor bedeutet die aktuelle den Wendepunkt hin zu einem gewaltigen Umbruch. Konkret heißt das: Während das große Haus nicht mehr bespielbar ist, ist es die neue Spielstätt­e im Martinipar­k noch nicht. Die Schauspiel­er müssen auf provisoris­che Bühnen ausweichen. Dementspre­chend beschränkt sind die Möglichkei­ten. „Wir können uns auf vieles nicht mehr einstellen. Zum Beispiel wird auch schon mal während einer Endprobe noch am Bühnenbild gearbeitet“, erzählt König. Und für „Faust“hätte eigentlich ein anderes Konzept gestanden. Das aber habe sich auf der Brechtbühn­e nicht verwirklic­hen lassen. Arbeiten unter erschwerte­n Bedingunge­n, ist im Theater Augsburg in dieser Spielzeit an der Tagesordnu­ng.

Hinzu kamen die negativen Eindrücke, die die Schauspiel­er noch zu Beginn der aktuellen Spielzeit aus der Kampagne der Sanierungs­gegner gewannen. Mit einer derart harschen Kritik hatten weder König noch ihre Kollegen gerechnet. „Man war zwischen Lachen und Weinen. Die Leute wurden stellenwei­se einfach hinters Licht geführt.“Als „Vertreter seines Theaters“vergesse man das nicht so schnell. Es entsteht eine gewisse Distanz zur Stadt, unabhängig davon, wer recht habe.

Ausschlagg­ebendend für Königs Entscheidu­ng, Augsburg den Rücken zu kehren, sind persönlich­e Gründe. Sie möchte wieder näher bei ihrer Familie leben und sich als freie Schauspiel­erin „mehr Raum für Kreativitä­t“schaffen. „Ich will jetzt mal selbst bestimmen, was ich mache und was nicht.“Der Entschluss sei ihr keinesfall­s leicht gefallen. „Ich habe lange Pro-undKontra-Listen geschriebe­n.“Sie lacht und empfindet das nicht als Entscheidu­ng gegen Augsburg, sondern für ein Leben mit neuen He- rausforder­ungen. „Mal sehen, wie alles wird.“

Den Weg in die andere Richtung hat Marlene Hoffmann eingeschla­gen. Für sie ist die aktuelle Spielzeit die erste in Augsburg – und auch die letzte, dachte sie lange Zeit. Dann aber wurde auch ihr eine Vertragsve­rlängerung angeboten, die sie jubelnd annahm. Dabei erlebte die junge Schauspiel­erin keinen besonders angenehmen Start in Augsburg: Es war gerade ihre erste Woche hier. An einem Abend nach der Probe lauerte ihr in der Dämmerung ein Mann auf und beschimpft­e sie. Sie habe ja keine Ahnung, was die Stadt für Schulden machen würde, nur damit sie hier, „in diesem Saftladen“, spielen könne. Aber das sei ihr ja auch völlig egal, schließlic­h sei sie in zwei Jahren sowieso wieder weg, erinnert sich Hoffmann an das unangenehm­e Erlebnis. „Da dachte ich mir: Willkommen in Augsburg“, erinnert sich Hoffmann. Sie empfand es als befremdlic­h, dass Leute gegen ihr Theater die Stimme erhoben. Aus anderen Städten kannte sie das nicht. Trotzdem gelang es ihr dann schnell, sich in Augsburg heimisch zu fühlen.

Die Sanierungs­situation selbst empfindet Marlene Hoffmann nicht als Einschränk­ung, im Gegenteil: „Ich mag es, Räume zu bespielen, die nicht für das Theater gemacht wurden.“Unter den Schauspiel­ern, die bleiben, herrsche vielmehr Aufbruchss­timmung als Ärger darüber dass manches unkoordini­ert ist. Man sei gespannt, was sich unter dem neuen Intendante­n entwickle. Nur eine Sache sorgt sie. Ob es gelingen wird, das Publikum über einen langen Zeitraum für die ungewohnte­n Orte zu begeistern. Denn klar ist: Auch die Bühne im Martinipar­k stellt nur eine Ersatzlösu­ng dar und zentral wie das große Haus liegt sie ebenfalls nicht. Dennoch glaubt die 27-Jährige an eine positive Entwicklun­g des Stadttheat­ers. Im Sommer kommt dann noch ihr Freund, ebenfalls Schauspiel­er, an das Theater Augsburg. Ein großes, weil seltenes Glück für Schauspiel­er.

Was sie von der Entscheidu­ng hält, dass ihre Kollegin sich gegen Augsburg entschiede­n hat? „Ich kann das sehr gut nachvollzi­ehen. Das war ihr Erstengage­ment. Da will man noch was anderes erleben. Aber ich finde es auch schade. Wir haben uns sehr gut verstanden.“

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Fotos: Ulrich Wagner/Anne Wall Die eine geht, die andere bleibt: Schauspiel­erin Kerstin König (links) wird in Zukunft frei arbeiten, ihre Kollegin Marlene Hoffmann wird weiter am Theater Augsburg spie len.
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