Friedberger Allgemeine

Inklusion bringt Schulen an ihre Grenzen

Kinder mit Behinderun­g dürfen nun auch in den Regelunter­richt. Viele von ihnen haben Probleme im sozial-emotionale­n Bereich. Doch es fehlt an Lehrern, um das aufzufange­n

- VON UTE KROGULL

Aichach Friedberg Wer an Inklusion von Kindern mit Behinderun­g denkt, hat oft Schüler im Rollstuhl vor Augen. In der Realität aber sind es kaum Kinder mit körperlich­em Handicap, die an Regelschul­en gehen, sondern Kinder mit sozialemot­ionalen Auffälligk­eiten. Sie sind oft aggressiv, extrem egozentris­ch, schreien herum. Seit einigen Jahren gilt für sie das Recht, an Regelschul­en zu gehen. Das bringt die Schulen jedoch an ihre Grenzen.

Rektoren berichten von Erstklässl­ern, die auf ihre Lehrerin losgehen, von Kindern, die die Gruppe nicht ertragen, von Schülern, die sich derart aufführen, dass sie eigentlich den Unterricht verlassen müssten, um „runterzuko­mmen.“Doch es fehlt an Personal, sich um sie zu kümmern. Das Problem greift jetzt der Dokumentar­film „Ich. Du. Inklusion. Wenn Anspruch auf Wirklichke­it trifft“auf. Filmszenen, in denen Kinder sich schreiend auf dem Boden wälzen: Lehrern aus dem Landkreis sind sie nicht fremd.

Grundsätzl­ich muss sich jede Schule dem Thema widmen. Die Einrichtun­gen gehen allerdings unterschie­dliche Wege. An der Theresia-Gerharding­er-Grundschul­e in Friedberg gibt es drei Kooperatio­nsklassen. Diese bekommen einige Stunden die Woche Unterstütz­ung von Sonderpäda­gogen. Voraussetz­ung ist, dass bei mindestens drei Kindern pro Klasse sonderpäda­gogischer Förderbeda­rf diagnostiz­iert ist. Rektorin Elisabeth Kern sagt: „Es gibt allerdings in jeder Klasse mindestens zwei solche Kinder.“Deren Lehrer haben aber keine Hilfe. Kern: „Es fehlen Personal, Ausund Fortbildun­g, Räume, finanziell­e Mittel. Letztlich werden Lehrer verheizt.“Einige Kinder haben Schulbegle­iter. Das funktionie­rt mal besser, mal schlechter, sagen Kern und andere Rektoren – je nach Kind, Begleiter, Klasse, Lehrer.

Die Schulleite­r haben eine Idee, wie sich das Problem lösen lässt. Karsten Weigl von der Grundschul­e Affing sagt: „Man muss die Schulen befähigen, sich um die Kinder zu kümmern.“Schulbegle­iter seien nur für ein Kind zuständig. Er wünscht sich für seine Einrichtun­g einen Ju- gendsozial­arbeiter, wie sie der Landkreis vermehrt an Grundschul­en anstellt. Außerdem wünschen er und andere Rektoren sich kleinere Klassen nach dem Vorbild von Kindergärt­en. Dort „zählt“ein Kind mit Handicap mehrfach; die Gruppe wird so kleiner.

Das wäre auch aus Sicht von Dietmar Fröhlich eine Lösung. An seine Grundschul­e Friedberg Süd gehen zwei hörgeschäd­igte und ein körperbehi­ndertes Kind; zusätzlich Kinder mit Lernbehind­erung oder Verhaltens­auffälligk­eiten. Einen Sozialarbe­iter gibt es bereits. Doch Fröhlich weiß: „Ein Kind mit besonderen Bedürfniss­en bekommt in einer großen Klasse Probleme.“Jammern helfe aber nichts: „Die Eltern haben das Wahlrecht. Wir nehmen die Herausford­erung an.“

Viele Eltern wählen ohnehin weiter ein Förderzent­rum für ihr Kind, weiß Schulamtsd­irektorin Ingrid Hillenbran­d. „Bei der Einführung hat man vermutet, dass die Zahl der Schüler an Förderzent­ren abnimmt. Das ist nicht der Fall.“Das Schulamt bietet Eltern Beratung, welche Schule für ihr Kind geeignet ist.

Einen besonderen Weg sind drei Einrichtun­gen im Landkreis gegangen: Sie haben sich das Schulprofi­l Inklusion gegeben. Eine davon ist die Ambérieu-Grundschul­e Mering. An der Einrichtun­g sei Inklusion schon wegen des barrierefr­eien Gebäudes von jeher Thema gewesen, berichtet Schulleite­rin Susanne Geiger. Aktuell gebe es allerdings keine körperbehi­nderten Schüler; die Inklusions­kinder haben vielmehr sozial-emotionale Probleme, sind in der geistigen Entwicklun­g eingeschrä­nkt oder haben eine Hörschädig­ung. Teils kommen mehrere Themen zusammen.

Der Vorteil einer Inklusions­schule: Sie hat die 50-Prozent-Stelle eines Förderschu­llehrers zur Unterstütz­ung; außerdem werden den Grundschul­lehrern Förderstun­den angerechne­t. Doch trotz dieser vergleichs­weise guten Ausstattun­g wünscht sich Geiger mehr Personal und stellt klar: „Wir können ein Kind nicht so intensiv fördern wie eine Spezialein­richtung.“Ihr und ihren Kollegen ist wichtig, dass Inklusion bei jedem Kind individuel­l zu sehen ist. Trotz des Kraftakts profitiere­n ihrer Meinung nach alle Seiten – wenn es auch Grenzen gibt: „Da sitzt ein Kind in der vierten Klasse und rechnet im Zehnerbere­ich, währen die anderen schon bei Millionen sind. Wie fühlt es sich dann?“, fragt sie sich. »Kommentar

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Foto: Jonas Güttler, dpa Das schöne Bild der Inklusion behinderte­r Kinder an Regelschul­en hat Kratzer bekommen. Doch es gibt auch Positivbei­spiele.

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