Gegen Missstände in den Schlachthöfen
Verborgen in einem anderen Gesetz hat der Bundestag in der Nacht zum Freitag Verbesserungen für Beschäftigte in der Fleischindustrie beschlossen. Kritiker bezweifeln aber, dass die Reformen ausreichen
Berlin Den ganzen Tag über ziehen tote Tiere an den Arbeitern vorbei, sie zerteilen sie mit großen Sägen im Akkord. Die Arbeit im Schlachthof ist laut und schweißtreibend – und doch muss man ständig konzentriert sein. Für diese Knochenjobs haben Schlachthöfe in Deutschland in vergangenen Jahren verstärkt Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa eingesetzt, aus Polen, Rumänien, Ungarn oder Bulgarien. Gewerkschafter, Kirchen und Politiker kritisieren seit Langem die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Werkarbeiter. Sie sind nicht beim Schlachthof angestellt, sondern bei einem Subunternehmer, der die Arbeitskräfte in deren Heimat anwirbt, und ihnen in Deutschland auch ihre Unterkunft besorgt.
Die Gewerkschaft NGG schätzt, dass es rund 40 000 sozialversicherungspflichtige Jobs in den Schlachthöfen gibt. Wie viele Menschen davon Werkvertragsbeschäftigte sind, wird statistisch nicht erfasst. Aber es sind billige Arbeiter, die – so die Kritiker – nach Strich und Faden ausgebeutet würden. Der Chef der Staatsanwaltschaft Osnabrück, Bernhard Südbeck, schildert drastische Verhältnisse bei Werkarbeitern.
Auf dem Papier arbeiten die Leute acht Stunden täglich für 1200 Euro im Monat – tatsächlich schufteten sie 15 Stunden und bekämen so viele Abzüge, dass ihnen am Ende teils noch 600 Euro zuzüglich Kindergeld blieben, schreibt Südbeck in einer Stellungnahme für den Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. „Insgesamt ist das System der Werkverträge in der Fleischwirtschaft nach meinen Erfahrungen auf maximale Ausbeutung der Arbeitskräfte angelegt“, schreibt Südbeck.
Noch vor der Bundestagswahl hat die Koalition in Berlin in der Nacht zum Freitag nun ein Gesetz beschlossen, das der Ausbeutung einen Riegel vorschieben soll. Kernpunkte: Künftig können Schlachtunternehmen für Verfehlungen ihrer Subunternehmer in Regress genommen werden. Arbeitszeiten müssen genau dokumentiert werden. Vorangetrieben hat das – in aller Stille – ein christlich geprägter CDU-Sozialpolitiker aus dem Bundestag, Karl Schiewerling, der in seinem westfälischen Wahlkreis die Probleme zugetragen bekommen hat.
Außerdem dürfen den Schlachtern und Zerlegern Arbeitsmaterialien wie Messer und Schutzkleidung nicht mehr vom Lohn abgezogen werden. Schiewerling rechnet durch die Neuerungen mit einem leichten Anstieg des Fleischpreises. „Wenn wir auf dem Rücken von Arbeitskräften aus Osteuropa unseren Fleischpreis billig halten, ist das unverantwortlich und unfair gegenüber den Betrieben, die sich an die Regeln halten“, sagte er.
Der Verband der Ernährungswirtschaft kritisierte die Verabschiedung des Gesetzes als „Nachtund-Nebel-Aktion“. Mit Unverständnis reagiert dort Hauptgeschäftsführer Michael Andritzky. Die Branche halte sich in weiten Teilen an eine Selbstverpflichtung, faire Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Situation habe sich „gravierend und nachhaltig“zum Vorteil der Werkarbeiter verändert. Die Kritik träfe nur für eine kleine Minderheit der Betriebe zu, sagte Andritzky.
Der katholische Theologe Peter Kossen bezeichnet die Selbstverpflichtung der Branche als Mogelpackung: „Es hat sich nicht wirklich was geändert.“Kossen hat als Prälat im niedersächsischen Vechta jahrelang die Missstände in der Fleischbranche angeprangert. Inzwischen ist er Pastor im Münsterland, aber engagiert sich immer noch für die Interessen der Werkarbeiter. „Die Regeln sind nur so gut, wie sie nachher auch kontrolliert werden“, sagt Kossen. Das neue Gesetz gehe in die richtige Richtung, aber notwendig sei ein Systemwechsel. Es gehe nicht an, dass es für das Kerngeschäft eines Schlachthofes nur 20 Prozent Stammbelegschaft und 80 Prozent Werkarbeiter gebe. Der Anteil der Werkarbeiter müsse gesetzlich begrenzt und die Kontrollmöglichkeiten der Behörden müssten verbessert werden. Zoll oder Gewerbeaufsicht müssten Sanktionsmöglichkeiten haben.
In Bayern – auch in unserer Region – sorgten in letzter Zeit mehrere Schlachthöfe für negative Schlagzeilen. Problem war hier weniger die Beschäftigung, sondern die unzureichende Betäubung von Tieren.