Friedberger Allgemeine

Nach dem Rettungsei­nsatz spritzt das Gift

Wirbel um die tote Krustenane­mone. Die Betroffene­n wollen einen Anwalt einschalte­n. Die Retter wehren sich

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Affing/Augsburg Der Filmheld Forrest Gump hat gesagt: „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man kriegt.“Im Feuerwehru­nd Rettungsdi­enst ist es ähnlich: Bei einem Alarm weiß man nie, was für ein Einsatz rauskommt.

Im Fall der giftigen grünen Krustenane­mone aus Affing (Landkreis Aichach-Friedberg) ist aus dem Alarm „Gefahrstof­funfall klein“ein seltsamer Einsatz geworden, der im Nachhinein einigen Ärger macht. Die Betroffene­n denken jetzt sogar darüber nach, einen Anwalt einzuschal­ten. Denn sie fühlen sich Spott ausgesetzt und befürchten eine saftige Rechnung. „Wir wollen wissen, wer diesen Einsatz ausgelöst hat“, sagt die Partnerin des Mannes, der die giftige Anemone im Internet bestellt hat. Wie berichtet, war das Tier beim Transport verendet. Nach dem Öffnen des Pakets zeigte der 31-Jährige Vergiftung­ssymptome: Atemproble­me, Schüttelfr­ost, Übelkeit. Die Freundin rief nachts den Münchner Giftnotruf an, um sich Rat zu holen. Da ahnte sie noch nicht, was sie in Gang gesetzt hatte.

Gegen vier Uhr früh rückte die Affinger Feuerwehr an, 18 Mann. Dann der Rettungsdi­enst. Dann die Polizei. Der 31-jährige Rollstuhlf­ahrer klagte da zwar nur noch über leichten Schwindel. Aber es half nichts. „Auf Anweisung des Rettungsdi­enstes“, so die Feuerwehr, musste der Mann „dekontamin­iert“werden.

Und das ging so: Er musste sich im Freien bis auf die Unterhose ausziehen und wurde von zwei Feuerwehrl­ern in Schutzanzu­g und Atemschutz­maske mit Wasser und Seifenlaug­e gewaschen. Eine Viertelstu­nde lang. So ist es Vorschrift. Die Idee, ihn aus dem Feuerwehra­uto heraus abzuspritz­en, wurde verworfen. Das Waschwasse­r musste aufgefange­n und mit der Kleidung des Mannes und den Feuerwehr-Overalls in die Garage gebracht werden. Die Garage wurde von der Polizei versiegelt.

„Das war total übertriebe­n. Die Feuerwehrl­eute standen genau so belämmert herum wie wir“, schimpft die Verlobte des Aquarium-Besitzers. Der Affinger Feuerwehrk­ommandant Michael Lichtenste­rn pflichtet ihr überrasche­nd bei: „Das war übervorsic­htig. Das Paket war acht Stunden zuvor geöffnet worden.“Die Betroffene­n erwarten nun eine persönlich­e Entschuldi­gung.

Doch wer soll sich entschuldi­gen? Und sind bei dem Einsatz überhaupt Fehler passiert oder Fehleinsch­ätzungen? Vielleicht ist es besser, sich in die Situation der Rettungskr­äfte zu versetzen, als im Nachhinein zu urteilen. Die werden nachts aus dem Bett geholt, dann macht der Einsatzbef­ehl die Runde: Ein Mann soll sich mit Palytoxin aus einer Anemone vergiftet haben. „Unsere Leute haben über Google schnell herausgefu­nden, dass es kein Gegengift gibt“, sagt Thomas Winter, der Leiter des Rettungsdi­enstes beim Roten Kreuz Aichach-Friedberg. Er habe Verständni­s, wenn der Einsatz den Betroffene­n unangenehm ist, sagt Winter, „aber wir denken in diesem Moment nicht an die Nachbarn, sondern sind lieber vorsichtig.“Der Einsatzlei­ter habe die Verantwort­ung. Fehler kann er keine erkennen.

So sieht es auch Stefan Würz, der Leiter der Integriert­en Leitstelle (ILS) in Augsburg. Von dort wurden Feuerwehr und Rettungsdi­enst alarmiert. „Das war kein 08/15-Einsatz“, sagt Würz. Die ILS habe sich in der Giftnotruf-Zentrale bei einem Fachmann informiert. Der habe einen Einsatz unter Schutzklei­dung empfohlen, da das Anemonen-Gift gefährlich sei. „Wenn sich Mitarbeite­r wegen mangelnden Schutzes verletzten würden, wäre es schlimm. Daher gehen wir immer auf Nummer sicher“, sagt Stefan Würz, „wir wissen ja nicht, was vor Ort auf die Einsatzkrä­fte wartet.“Eine Schachtel Pralinen war es in diesem Fall nicht.

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Foto: Fotolia Krustenane­monen tragen ein gefährli ches Gift in sich.

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