Friedberger Allgemeine

Integratio­nswille und Illusionen

Eine aktuelle Studie analysiert Ansichten und Zukunftspl­äne von Asylsuchen­den in Bayern. Wie sie zum Thema Gleichbere­chtigung stehen und welche Rolle die Religion spielt

- VON HENRY STERN

München Wer sind die Asylsuchen­den, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Bayern gekommen sind? Welche Ausbildung haben sie? Wie ist ihre Einstellun­g zu Religion, Toleranz, Gleichbere­chtigung, Gewalt oder Demokratie? Wollen sie dauerhaft in Deutschlan­d bleiben oder so bald wie möglich in ihre Heimatländ­er zurückkehr­en? Wie sehen sie ihre Zukunft, wie groß ist ihre Motivation zur Integratio­n?

Viele Fragen, auf die es bislang nur wenig gesicherte Antworten gibt. „Wir brauchen aber ehrliche Analysen“, findet Ursula Männle, die Vorsitzend­e der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Nur so könnten Politik und Gesellscha­ft die Herausford­erungen der Zuwanderun­g bewältigen. Die Sozialwiss­enschaftle­rin Prof. Sonja Haug von der Ostbayeris­chen Technische­n Hochschule Regensburg hat deshalb mit einem Wissenscha­ftler-Team bereits seit Winter 2015 im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung eine groß angelegte Pilotstudi­e über „Asylsuchen­de in Bayern“erstellt, deren Ergebnisse nun vorliegen.

Die Forscher befragten 779 Asylsuchen­de aus Syrien, Irak, Eritrea und Afghanista­n, die 2015 und 2016 nach Nürnberg und in den oberbayeri­schen Landkreis Ebersberg gekommen waren. Um der Selbsteins­chätzung eine Außenansic­ht hinzuzufüg­en, wurden zudem mit Asylbewerb­ern vertraute Mitarbeite­r von Behörden, Hilfsorgan­isationen oder Kirchen befragt. „Den ty- Asylsuchen­den gibt es nicht“, fasst Haug das Ergebnis ihrer Studie zusammen: Sowohl zwischen den untersucht­en Herkunftsl­ändern, aber auch in den Ländergrup­pen selbst gibt es zum Teil erhebliche Unterschie­de bezüglich Bildung, Zukunftser­wartungen, aber auch grundsätzl­ichen Einstellun­gen. Einer zum großen Teil hohen Integratio­ns- und Arbeitsber­eitschaft stehen zudem teilweise unrealisti­sche Erwartunge­n und auch mit westlichen Lebensweis­en nur schwer kompatible Wertvorste­llungen gegenüber.

So sind vor allem Syrer und Iraker oft gut bis sehr gut ausgebilde­t, während zwölf Prozent der Afghanen Analphabet­en sind. Zwanzig Prozent der irakischen und zehn Prozent der syrischen Frauen sind zudem niemals zur Schule gegangen. Gerade die syrischen und iraki- schen Frauen erhofften sich von ihrem Leben in Bayern aber eine Chance auf Berufstäti­gkeit und damit eine „emanzipato­rische Wirkung“, berichtet Haug.

Beim Thema Gleichbere­chtigung haben die Forscher eine Diskrepanz zwischen Selbsteins­chätzung und Außenansic­ht festgestel­lt: So befürworte­t eine klare Mehrheit der Asylbewerb­er gleichwert­ige Berufsausb­ildung für Männer und Frauen, freie Partnerwah­l oder ein Mindestalt­er von 18 Jahren bei der Heirat. Knapp ein Viertel der Eritreer ist jedoch der Ansicht, dass Frauen ihren Ehemann nicht selbst aussuchen sollten.

Die Frage, ob sich Frauen stärker um den Haushalt kümmern sollen als um die Karriere, spaltet die Befragten. Die Experten sehen zudem in ihrer täglichen Praxis oft ein eher „traditione­lles Frauenbild“der Zupischen wanderer bis hin zu „respektlos­em Umgang“mit „Frauen als Amtsperson“. Religion spielt für die im Schnitt jüngeren und meist männlichen Eritreer und Afghanen eine größere Rolle als für Syrer oder Iraker. Klare Mehrheiten befürworte­n aber die Trennung von Kirche und Staat, Respekt vor Andersgläu­bigen und lehnen religiös motivierte Gewalt ab. Knapp jeder fünfte Syrer und Iraker und mehr als jeder dritte Afghane stellt jedoch religiöse Gebote über staatliche Gesetze – bei christlich­en Eritreern sind es sogar vier von fünf. Weit verbreitet unter muslimisch­en Flüchtling­en ist zudem Antisemiti­smus: Mehr als die Hälfte der Syrer, Iraker und Afghanen finden „Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss“.

Nur ein Drittel der Syrer hat vor, für immer in Deutschlan­d zu bleiben, aber 83 Prozent der Afghanen. Der Wunsch nach Familienna­chzug ist groß, die Kenntnis über die Rechtslage, die nur den Nachzug von Ehepartner­n und Kindern vorsieht, gering. Große Illusionen sehen die Forscher auch in den Vorstellun­gen, wie schnell die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt gelingen kann. Viele Flüchtling­e akzeptiert­en sehr wohl, dass in Bayern vieles anders ist als in ihren Heimatländ­ern, berichtet Haug. Die Bereitscha­ft, Deutsch zu lernen, sei bei fast allen Zuwanderer­n sehr groß. Oft laufe die Anpassung an die neue Umgebung in vielen Lebensbere­ichen sehr schnell: „Es gibt aber auch Einstellun­gen, die sich wohl nicht so leicht ändern lassen.“

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Foto: Daniel Karmann, dpa Wie ticken die vielen Asylbewerb­er, die im Freistaat leben? Die Hanns Seidel Stif tung will das herausfind­en.
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