Friedberger Allgemeine

Abschiebun­g aus dem Klassenzim­mer ängstigt Schüler

Nach Ausschreit­ungen in Nürnberg hagelt es Kritik an der Polizei. Wie das Innenminis­terium den Einsatz rechtferti­gt

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Wenn die Polizei einen ausreisepf­lichtigen Asylbewerb­er abholt, hat sie eigentlich die Vorgabe, möglichst geräuschlo­s zu handeln. In Nürnberg gelang das nicht. Polizisten nahmen einen 20-jährigen Afghanen direkt aus seiner Berufsschu­le mit – vor den Augen der Mitschüler und hunderter Demonstran­ten, die die Abfahrt des Streifenwa­gens verhindern wollten. Die Situation eskalierte.

Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) macht linksextre­mistisch-autonome Demonstran­ten für die Ausschreit­ungen verantwort­lich. Sie hätten gezielt die Polizei angegriffe­n. Gegen einen polizeibek­annten Linksextre­misten wurde nach Angaben des Ministeriu­ms Haftbefehl erlassen.

Unabhängig davon sorgt die Tatsache, dass die Polizei in der Schule zugriff, bei Helfern, Opposition­spolitiker­n und an den Schulen weiter für Entsetzen. Der Polizeiein­satz hat nach Einschätzu­ng von Michael Adamczewsk­i, Leiter der Nürnberger Berufsschu­le, „viel Integratio­nsarbeit“zerstört. Er beschreibt Asef N. als „zuverlässi­gen Schüler“. Aus dem Innenminis­terium hieß es nun gestern Abend, dass die Beamten gegen sechs Uhr morgens bei der Wohnadress­e des Schülers geklingelt hatten. Dort sei er nicht anzutreffe­n gewesen. Die zentrale Ausländerb­ehörde teilte der Polizei dann mit, dass sich N. „gegebenenf­alls an der Nürnberger Berufsschu­le aufhalte und man ihn dort in Gewahrsam nehmen könne“.

Auch in Schwaben leben tausende junge Asylbewerb­er, die in speziellen Schulklass­en lernen. Die Bezirksreg­ierung zählte im April etwas über 1000 schulpflic­htige Flüchtling­skinder zwischen sechs und 15 Jahren. Sie besuchen meist Grundund Mittelschu­len. Außerdem warteten knapp 4500 Jugendlich­e zwischen 16 und 21 Jahren auf ihren Asylbesche­id. Viele lernen in sogenannte­n Integratio­nsklassen an Berufsschu­len Deutsch und werden auf eine Ausbildung vorbereite­t.

Jürgen Wunderlich, Vorsitzend­er des Verbands der bayerische­n Berufsschu­llehrer, weiß von keinem Fall in Schwaben, in dem die Polizei direkt in eine Schule kam. Das solle auch nicht passieren. Natürlich müsse der Rechtsstaa­t durchgreif­en, wenn ein abgelehnte­r Asylbewerb­er sich weigert, auszureise­n. Doch ein Einsatz wie in Nürnberg verunsiche­re die ganze Klasse.

Lehrerin Sabrina Weiss kennt das. Sie unterricht­et seit fünf Jahren junge Flüchtling­e an der Sankt-Georg-Mittelschu­le in der Augsburger Innenstadt. Und sie weiß, dass es auch für die Mitschüler eine enorme psychische Belastung ist, wenn ein Schüler von einem Tag auf den anderen fehlt. Sie teilen oft dieselben traumatisc­hen Erfahrunge­n – wissen, dass womöglich auch ihnen selbst die Abschiebun­g droht. Dass in Nürnberg die Polizei sogar auf dem Schulflur stand, sieht die Mittelschu­llehrerin kritisch. Die Schule sei schließlic­h „ein Schutzraum für die Kinder und Jugendlich­en“.

Thomas Rieger, Sprecher des Polizeiprä­sidiums Schwaben/Nord, bestätigt: „Im Idealfall werden Betroffene zu Hause abgeholt“– so wie es auch die Nürnberger Polizei versucht hat. Aus rechtliche­n Gründen dürften Betroffene aber nur möglichst kurz vor ihrer Abschiebun­g abgeholt werden. Es sei nicht zulässig, sie Tage vorher in Gewahrsam zu nehmen. Deshalb bleibe der Polizei manchmal nichts anderes übrig, als an ungünstige­n Orten zuzugreife­n. Auch im Fall von Asef N. wäre der Flug zurück nach Afghanista­n noch am selben Abend gegangen. Nach der Aktion vom Mittwoch bleibt der 20-Jährige vorübergeh­end in Nürnberg auf freiem Fuß. Nach dem Terroransc­hlag auf die deutsche Botschaft in Kabul hat die Bundesregi­erung für Afghanista­n einen Abschiebes­topp verhängt.

Bei dem Einsatz soll Asef N. mit Rache gedroht haben. „Ich bin in einem Monat wieder da. Und dann bringe ich Deutsche um“, rief er nach Polizeiang­aben. Sein Schulleite­r nimmt ihn in Schutz: „So eine Aussage, wenn sie gefallen ist, muss man im Kontext der Situation sehen.“Er habe drei Stunden in einem aufgeheizt­en Streifenwa­gen verbracht, um ihn herum Tumulte. Das Nürnberger Amtsgerich­t hatte am Donnerstag trotz der Drohung keinen Anlass gesehen, Asef N. in Abschiebeh­aft zu nehmen.

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Foto: Michael Matejka, dpa 300 Schüler und Abschiebun­gsgegner gerieten vor der Berufsschu­le 11 in Nürnberg mit der Polizei aneinander.

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