Friedberger Allgemeine

Bierzeltre­de

- VON MICHAEL SCHREINER

Angela Merkel im Bierzelt – das ist kein Heimspiel und das Gegenteil von Fisch im Wasser. Man könnte sich, um das Fremdeln zu illustrier­en, auch Donald Trump auf der Lindauer Nobelpreis­trägertagu­ng, Thomas Tuchel als Wrestler oder Roberto Blanco als Tannhäuser vorstellen. Zwar weiß die Kanzlerin einen Bierkrug zu halten, doch sieht es bei ihr immer so aus, als habe ihr jemand ein sediertes Eichhörnch­en in die Hand gedrückt.

Dass nun ausgerechn­et Angela Merkel, die nach bayerische­r Lesart bestenfall­s an einem Wolfratsha­user Frühstücks­tisch derb zu taktieren versteht, eine historisch­e Bierzeltre­de hält, deren Echo oins, zwoi, drei durch die Welt schwappt, erstaunt viele Beobachter. Und demütigt jeden bayerische­n Politiker, der sich im Bierzelt zwanghaft als FJS-Imitator abstrampel­t. Denn die rhetorisch­e Kraftanstr­engung der Kanzlerin und ihr Redetemper­ament waren überschaub­ar wie ein Noagerl – ihre Tonlage ging eher in Richtung Rühren im Milchkaffe­e denn Poltern von Maßkrügen auf Holz. Doch ihr auf die USA unter Trump gemünzter Bierzeltre­densatz „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei“, trudelte aus dem Truderinge­r Zelt in die Weltöffent­lichkeit und schlug dort Wellen. Das dürfte die selbst ernannten Weltmeiste­r der Bierzeltre­de, bayerische Politiker, besonders hart getroffen haben. Denn offenbar hat Merkel – und das nicht nur ein Stück weit – ein Naturgeset­z außer Kraft gesetzt, das bisher immer gegolten hatte: Eine Bierzeltre­de muss schäumen, sie muss reinhauen wie die dritte Maß, sie muss Schweißfle­cken erzeugen, Grunzen und Gejohle – aber eben auch so schnell verflogen, verdampft und vergessen sein wie der Rausch des Augenblick­s und der Nibelungen­kater an Aschermitt­woch. Nun das: „Merkels Bierzeltre­de“wird zum stehenden Begriff. In den Geschichts­büchern wird der Beginn von Europas selbstbewu­sstem Fingerhake­ln mit den USA auf ewig in einem Bierzelt verortet bleiben. Man darf anerkennen, dass Merkel sich im Wesentlich­en an jene Bierzeltre­dnergrunds­ätze gehalten hat, die der Münchner ExOberbürg­ermeister Christian Ude einmal so formuliert hatte: „Zahlen, Relativsät­ze und lange Gedankengä­nge haben im Bierzelt keine Chance.“Wie Ude damit nebenbei auch noch Trumps Twitter-Philosophi­e vorwegnehm­en konnte, ist auch so ein Rätsel, aber großartig.

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