Wie alles begann
Geschichte Bei Martini wurden Stoffe gebleicht und gefärbt. Dann kam der Wandel/
Die Karriere des aus Biberach an der Riß stammenden Clemens Martini (1799-1862) als Unternehmer begann in Haunstetten. Er kaufte dort 1832 für 7000 Gulden eine in Konkurs geratene Weißbleiche. Diese Leinwandbleiche am Lochbach bestand schon im 18. Jahrhundert. Die Bleiche ging 1826 bankrott und wurde vom Gläubigerausschuss verpachtet.
Clemens Martini war um diese Zeit „Reisender“eines Kaufbeurer Leinenwarenhauses. Er hatte einen guten Einblick in das Gewerbe und verfügte über ein Gespür bei der Ortswahl. Er brauchte sauberes Quellwasser zum Spülen der Stoffe und Fließwasser als „Motor“. Über beides verfügte das Areal bei Haunstetten, das vom Lochbach sowie dem Kleinen und dem Großen Ölbach durchflossen wird. Der aus dem Lech gespeiste Lochbach trieb ab 1834 über zwei Wasserräder zwei Appretiermaschinen, eine Walke und eine Waschmaschine. Die Wasserkraft betrug „15 Pferde“. Auch der aus Quellen gespeiste Ölbach trieb ein Wasserrad mit fünf PS an. Das Quellwasser diente zudem zum Reinigen und Spülen von Tuchen.
Clemens Martini bediente von Haunstetten aus zunächst seine bisherige Klientel: Er bleichte leinene Garne und Gewebe und belieferte damit Augsburger, Ulmer, Kaufbeurer und Heidenheimer Firmen. Das Geschäft lief gut. So holte er seinen jüngeren Bruder Fritz mit ins Boot und baute mit ihm ab 1835 die Manufaktur zur Fabrik aus. Sie nahmen nach der Leinenbleicherei auch die BaumwollStückbleicherei auf und gliederten 1837 eine Baumwollfärberei an.
1847 wagte Clemens Martini den Einstieg in Augsburg: Er kaufte zusammen mit dem Haunstetter Kaufmann und Gutsbesitzer Johann Georg Käß die Fröhlich’sche Bleicherei und Appreturanstalt am Hanreibach. 1860 lösten Martini und Käß ihre geschäftliche Verbindung. Die beiden Neffen des Fabrikgründers, Wilhelm und Viktor Martini, übernahmen den Augsburger Betrieb in Alleinbesitz, Georg Käß betrieb das Haunstetter Werk. Beide Firmen beschäftigten um 1870 jeweils 80 bis 120 Arbeiter.
Nach 1870 schrieb nur noch Martini & Cie. in Augsburg schwarze Zahlen. Das lag an der Spezialisierung auf gefragte Ausrüstungen für weiße und farbige Stoffe. Der Haunstetter Textil-Veredelungsbetrieb von Georg Käß blieb auf Massenartikel ausgerichtet. Damit konnte er ab Mitte der 1880er Jahre nicht mehr genügend verdienen. Georg Käß war verkaufsbereit – die Familie Martini griff zu. Das Haunstetter Unternehmen lief ab 1889 als „Filiale“unter der Leitung von Ludwig Martini. 1894 bleichte man mit 120 Beschäftigten rund 150000 Stücke (à 60 Meter Länge) und färbte etwa 50000. Das Augsburger MartiniWerk besaß die doppelte Kapazität.
Anno 1894 listete Martini & Cie. den Maschinenpark des Betriebes am Hanreibach auf. Ein solcher Einblick in die Technik eines Textilausrüsters ist äußerst selten, deshalb hier längere Auszüge: „Das Augsburger Etablissement kann täglich 1000 Stücke ausrüsten. Betriebskräfte sind 4 Turbinen mit 260 HP (Pferdestärken, PS, die Red.), 1 Dampfmaschine mit 100 HP. Die Wasserkraft kann außerdem durch Dampf ersetzt werden. Arbeiter 300 bis 330. Zum Bleichen der Waren werden 6 gesonderte Bleichsysteme verwendet, 9 Naßcalander besorgen das Entwässern, 12 Trockenmaschinen (...) dienen neben 8 Heizrechen und 7 Lufttrockenhäusern zum Trocknen. Das Lustrieren besorgen 10 Holzmangen, 1 eiserne Mange, 21 Calander, darunter 10 fünfwalzige und 1 sechswalziger, 22 Glacier-, 3 Beetle-Maschinen. (...) Die Druckerei arbeitet mit 9 Druckmaschinen(...). Hiefür ist ein gesondertes Gebäude und eine gesonderte Dampf- (Antrieb von unten) und Dynamo-Maschine errichtet. Außerdem sind 12 Dampfkessel (70-110 qm) im Betriebe (zusammen 435 HP Wasser). 1892 wurden 16600 Centner Kohlen verbraucht.“Die „Dynamomaschine“
Man nutzte schon sehr früh die Elektrizität
war ein Stromgenerator. Man nutzte bei Martini sehr früh die Elektrizität. Den Strom musste man vor Ort selbst erzeugen. An diese Tradition knüpfte Martini 2006 mit einer „Wasserschnecke“an.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Augsburger Werk zu 85 Prozent zerstört, das Haunstetter Werk blieb weitgehend verschont. Darin lief wenige Wochen nach Kriegsende die Produktion wieder an. Mitte der 1960er Jahren setzte der Abschwung auf dem Textilsektor ein. 1968 verkaufte Martini die Lohndruckerei an „Prinz Druck“und beschränkte sich auf Ausrüstung. 1972 wurde „Martini & Cie.“in einen von der Dierig Holding AG beherrschten Verbund eingebracht und firmierte fortan als „Martini MCA Textilveredelungswerke GmbH“.
1993 erfolgte die Stilllegung der Haunstetter Produktionsstätte. Die Stadtwerke erwarben das am Rand des Trinkwasser-Einzugsgebiets liegende Areal, ließen die ausgedehnte Fabrikanlage abbrechen und das Gelände rekultivieren. Martini in Augsburg stellte ebenfalls die Produktion ein, doch der Abbruch blieb dem Werk erspart. Daraus wurde der „Martini-Park“. Die Industriebauten des 19. und des 20. Jahrhunderts wurden durch Umbauten aktuellen Erfordernissen angepasst.