Kunst, die ans Eingemachte geht
Ausstellung Kellerfunde, Stoffreste, Wattestäbchen, Fotos, tote Frösche und Fingernägel – wie sieben Künstler in Oberschönenfeld alltägliches Material verwandeln und sprechen lassen
Teebeutel, Wattestäbchen, zersplittertes Holz, zerknülltes Papier, abgeschnittene Fingernägel, Plastikreste, Strohhalme, Geäst, tote Frösche, Einmachgläser, Stofffetzen, Lehm – hätte jemand alle diese Materialien, Abfälle und organischen Stoffe einfach nachts vor die Museumstüre gekippt, wäre eine Polizeimeldung daraus geworden. So aber, weil Künstler sich der Dinge angenommen haben, sie ästhetisiert, umgestaltet, inszeniert, interpretiert, kombiniert, gewürdigt und arrangiert haben, ist eine bemerkenswerte Ausstellung daraus geworden.
Eine, die aufzeigt, wie allgegenwärtig und selbstverständlich Alltagsgegenstände und Fundstücke in künstlerischen Strategien heute sind. Aber auch eine Ausstellung, die offenbart, wie schmal der Grat zwischen Kunst und Gebastel sein kann, wie schnell etwas kippen kann aus irritierender Wirkmächtigkeit in dekoratives Geplänkel.
Sieben regional mehr oder weniger bekannte und ausgezeichnete Künstler – drei immerhin deutlich jenseits der 60, drei über 50 und der Benjamin, Matthias Wohlgenannt, Anfang 40 – zeigen in der Schwäbischen Galerie im Volkskundemuseum Oberschönenfeld auf zwei Etagen ihre Arbeiten, die von der Installation, der Plastik und Malerei (hier hervorzuheben: Helmut Ranftl, Nördlingen) bis zur Fotografie eine große Bandbreite an Aus- zeigen. „Entdecken, Recyceln, Bewahren – Material in der Kunst“ist die Ausstellung betitelt. Kommen wir gleich zu dem Material, das ein Künstler selbst hervorgebracht hat.
Über 50 Jahre nachdem der italienische Konzeptkünstler Piero Manzoni seine eigene „Künstlerscheiße“in Dosen abfüllte, zeigt Matthias Wohlgenannt aus Wolfratshausen einen Wald aus „Hornpalmen“. Es sind knapp 30 weiße Bäumchen, die der Künstler aus zwischen 2006 und 2017 gesammelten Fingernägeln und mithilfe von Heißkleber geschaffen hat. Eine Arbeit, in der Zeit gespeichert ist. Wäre sie nicht so verspielt und käme nicht daher wie eine originelle Beigabe zu einer Modelleisenbahn, hätte Wohlgenannt ein großes Zeichen gesetzt: Der Künstler ist autark, sein Organismus produziert das Werk, bringt es gleichsam unendlich mühsam, aber verlässlich hervor …
Dass eine künstlerisch überzeugende Arbeit nicht vom Material (schon gar nicht vom „Wert“desselben) abhängig ist, sondern vom Umgang damit, von der Neubetrachtung – diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch diese Ausstellung. Während etwa Marianne Ranftl (Nördlingen) ihre gesammelten Stoffreste zu ansehnlichen, optisch reizvollen Objekten und Bildern gestaltet, die allerdings im Dekorativen sich erschöpfen, zeigt im selben Raum Wolfgang Schenk (Welden) mit seiner Instal- lation „Das Erbe meiner Mütter“, wie man die Dinge einfach sprechen lassen kann und ihnen ein Echo verleiht, das nachhallt. Auf einem einfachen Kellerregal hat Schenk 240 gefüllte Einmachgläser aufgereiht, die er in einem Bauernhaus entdeckt hat. Darunter hat der Künstler 18 „Fakes“gemischt, die er mit Wachs und Metallgebilden gefüllt hat. Ein vielschichtiges Schauobjekt mit Aura, das Assoziationen aufruft und entdeckt werden kann – bis hin zu den handgeschriebenen Aufklebern und den Farbreizen des Eingemachten. Eine Arbeit, die auch vom Umgang mit der Zeit, von Transformationen und archaischen menschlichen Bedürfnissen erzählt.
Mit Strategien des Konservierens und Aufbewahrens befasst sich auch Wolfgang Mennel (Ziemetshausen), wenn auch auf eine ganz andere Art. Seine Installation „Familienlandschaft“beschäftigt sich mit der Fotografie und der Erinnerung, mit den Bruchstücken der Vergangenheit, aus denen wir immer wieder neue, fragile Bilder zusammensetzen.
Mennel hat aus banalen Alltagsgegenständen wie Plastikflaschen oder Schalen aus dem Supermarkt weiße Gipsformen gegossen, auf die er Fotos aus einem alten Familienalbum gedruckt hat. Wie Geröll in einem Steinbruch liegen die an Totenmasken gemahnenden Gipskörper in Vitrinen. Nichts ist festgefügt, Vergangenheit und Erinnerung setzt sich jeder selbst zusamdrucksweisen men, manches wird dabei unter Fragmenten begraben…
Einen starken Eindruck hinterlassen die stillen, zerbrechlich wirkenden Wandobjekte und schwebend leichten Plastiken von Helen Pavel (Irsee). Pavel lässt den Betrachter glauben, er stehe vor Schlangenhäuten, Unterwasserpflanzen, Tierknochen, Nestern. Tatsächlich verwendet die Künstlerin billige Materialien wie Papier, Plastikfolie, Teebeutel, Strohhalme, um damit organische, natürliche Formen und Erscheinungen zu würdigen und zu interpretieren. Ein Mimikry-Verfahren, das von haptischem Reiz ist. Pavels Symbiose aus organischen Vorbildern und künstlichen Materialien bringt poetische Gebilde hervor, zart und zeitlos. Fundstücke aus einer Natur, die es gar nicht gibt, artifizielle Trouvaillen aus einer Kunst-Welt.
Interessanter Gegensatz dazu sind die Arbeiten von Hama Lohrmann (Fischach), der ausschließlich mit Fundstücken von draußen arbeitet – Steine, Erde, Hölzer. In Oberschönenfeld hat er aus Ästen auf einem Lehmkreis eine Art Schrein für 18 tote Frösche und Kröten gebaut, die er alle in der Umgebung gefunden und aufgelesen hat.
Laufzeit der Ausstellung „Material in der Kunst“in der Schwäbischen Galerie im Volkskundemuseum Oberschönenfeld bis 27. August, geöffnet hat die Grup penausstellung von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.